Die elektronische Patientenakte (ePA) soll noch in dieser Legislaturperiode als eine Opt-out-Lösung, d. h. ohne vorherige Einwilligung der einzelnen Versicherten, eingeführt werden. Das ist im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP – veröffentlicht am 24.11.2021 – vereinbart worden:
Quelle: Koalitionsvertrag 2021 – 2025 von SPD, GRÜNEN und FDP, dort S. 83
Seit 01.01.2021 haben die gesetzlich krankenversicherten Menschen in Deutschland die Möglichkeit, bei ihrer Krankenkasse die Einrichtung einer ePA für sich zu beantragen. 2020 (neuere Zahlen liegen noch nicht vor) waren in Deutschland 73,36 Mio. Menschen in einer gesetzlichen Krankenkasse versichert. 452.778 davon waren am 15.04.2022 Inhaber*in einer ePA. Das entspricht einer Quote von 0,617200109 %. Nicht gerade eine Erfolgsgeschichte.
Das lässt den Befürworter*innen einer Zwangs-Digitalisierung des Gesundheitswesens keine Ruhe. Jens Spahn (CDU) traute sich als Bundesgesundheitsminister noch nicht daran, das in den §§ 342 – 345 SGB V verankerte Prinzip der informierten und freiwilligen Einwilligung zur Nutzung einer elektronischen Patientenakte (ePA) durch eine Zwangs-ePA zu ersetzen.
„Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt“ (J. W. v. Goethe: Erlkönig)
Karl Lauterbach (SPD) als neuer Bundesgesundheitsminister will dieses Prinzip der informierten und freiwilligen Einwilligung aber beseitigen. Er lässt die Jurist*innen in seinem Ministerium am einer entsprechenden Gesetzesänderung arbeiten und hat mit der Mehrheit der Gesellschafteranteile in der gematik (der Bund ist zu 51 % Anteilseigner der gematik GmbH) in der Gesellschafterversammlung am 07.11.2022 durchgesetzt, dass die gematik einen Prüfauftrag für eine „Opt-out-ePA“ erhalten hat. Vier Opt-out-Dimensionen sollen geprüft werden, so die gematik in einer Pressemitteilung vom 07.11.2022:
- „Die Bereitstellung der Akte,
- der Zugriff auf die ePA,
- ihre Befüllung und
- die pseudonymisierte Datenweitergabe zu Forschungszwecken.
Ferner wurde beschlossen, dass auch der elektronische Medikationsplan (eMP) sowie die elektronische Patientenkurzakte (ePKA) Teile der ePA werden sollen.“
Soweit die Fakten aus der Mitteilung der gematik. Aber auch der Hinweis auf die vorgeblich segensreichen Auswirkungen dieser Zwangs-ePA für die Versichertengemeinschaft darf – wie immer bei der gematik – nicht fehlen: „Denn als Opt-out-Lösung wird sie (gemeint ist die Zwangs-ePA) zu einem zentralen Teil einer modernen, digitalen Gesundheitsversorgung in Deutschland – patientenzentriert, zugänglich für alle Bürger:innen und unabhängig von Alter oder digitaler Affinität. Die Opt-out-ePA bündelt relevante Gesundheitsdaten von allen Versicherten individuell, sicher und souverän an einem Ort und stärkt damit die Patientensicherheit erheblich…“
Dass die mit der opt-out-ePA zwangsweise verbundene (pseudonymisierte) „Datenweitergabe zu Forschungszwecken“ keinen hinreichenden Schutz von Gesundheits- und Behandlungsdaten vor Missbrauch darstellt, darauf haben Fachleute wie Prof. Dr. Dominique Schröder sowohl in Anhörungen im Bundestag als auch in Veranstaltungen wiederholt hingewiesen, diese Problematik wird aber von Bundesgesundheitsminister Lauterbach und den anderen Befürworter*innen einer Zwangs-ePA bewußt ausgeblendet.
Und wer wissen will, wie schwierig das individuelle opt-out bei der elektronischen Patientenakte (ePA) gemacht werden kann, sollte einen Blick nach Österreich richten. Die dortige ePA hat den schönen Namen ELGA (elektronische Gesundheitsakte). Wie schwierig es Versicherten in Österreich gemacht wird, aus der Zwangs-ELGA wieder auszusteigen und welche Nachteile in der medizinischen Versorgung sie dabei erleiden müssen, wird hier und hier in zwei Beiträgen skizziert.
Die „Erfolgsgeschichte“ der elektronischen Patientenakte ist unaufhaltsam. Mit Stand heute – 17. November 2022 – sind laut GEMATIK – 561.267 elektronische Patientenakten freigeschaltet. Das sind immerhin 0,765085878 % aller gesetzlich krankenversicherten Menschen in Deutschland. Wenn das in dem Tempo weitergeht, werden im Jahr 2222 alle Versicherten eine Patientenakte haben.
Die Quelle der o. g. Zahl: https://ti-lage.prod.ccs.gematik.solutions
Dass dies Herrn Lauterbach, dem Bertelsmann-Konzern, der CompuGroup Medical (CGM) und anderen Fans und Profiteuren der Digitalisierung im Gesundheitswesens zu lange dauert, ist nachvollziehbar. Sind doch unter diesem Umständen die Zugriffe auf Gesundheits- und Behandlungsdaten nicht im von ihnen gewünschten Ausmaß möglich. Mit der opt-out-Patientenakte würde sich dieses Problem für Lauterbach, Bertelsmann, CompuGroup Medical (CGM) schneller lösen.
Zum Nachteil der Versicherten. Deshalb: Bleibt dran an dem Thema! Aufklärung ist dringend geboten.