Abzock-Maschen der Gematik

Hintergrund

In jeder deutschen Arztpraxis oder Krankenhaus-Ambulanz muss ein Konnektor installiert sein. Der Konnektor ist ein technisches Bauteil, ein spezieller IT-Router, mit dem die Verbindung zwischen der Arztpraxis und der „Telematik-Infrastruktur“ hergestellt wird. Jede Arztpraxis ist gesetzlich verpflichtet, damit verbunden zu sein. Nach einer Vorgabe der Gematik, der Zentralbehörde für diese „Telematik-Infrastruktur“, müssen alle Konnektoren ausgetauscht werden, Kosten: 400 Mio EUR. Zur Vorgeschichte empfehlen wir diesen Artikel von uns vom April 2022. Wir bezweifelten damals, dass der Austausch notwendig sei. Die Gematik will den Konnektor sowieso bald abschaffen, für ihre  nächste Informatik-Architektur „TI 2.0“. Es handle sich bei diesem Austausch nur um eine „Abzock-Masche“ gewisser IT-Firmen, allen voran der Koblenzer CGM, der „Compugroup Medical SE & Co KGaA“, so schrieben wir damals. Selbstverständlich würden die Ärzte fordern, dass die gesamten Kosten dieses Konnektor-Tausches von den Krankenversicherten getragen würden.

Der Schiedsspruch

So geschah es. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung verlangte den Abschluss einer Vereinbarung, wonach die Krankenkassen alle Kosten des Konnektor-Tausches tragen müssen. Eine nachvollziehbare Forderung, die Ärztinnen und Ärzte konnten darauf verweisen:

  1. Die „Telematik-Infrastruktur“ und der Konnektor haben keinerlei Nutzen bei der Versorgung der Patientinnen und Patienten oder für die Abrechnungen der Ärztinnen und Ärzte. Der Nutzen des Konnektors für sie ist gleich Null.
  2. Die bisherigen Konnektoren und die gesamte „Telematik-Infrastruktur“ wurden bisher ausschließlich von den Versicherten finanziert. Wieso sollen jetzt die Ärzt:innen zahlen?

Als die Kassen die gewünschte Vereinbarung nicht abschließen wollten, riefen die Ärzte das Bundes-Schiedsamt nach § 89 Abs. 2 SGB V an, eine Schiedsstelle, die dafür zuständig ist, über Honorarordnungen und Ähnliches zu entscheiden. Das Schiedsamt entschied am 18.07.2022, dass jede deutsche Arztpraxis 2.300 EUR für den Konnektor-Tausch erhält, insgesamt müssen die Kassen dafür 400 Mio EUR zahlen.

Heise- und c’t-Artikel

Die Ärzte- und Krankenkassen-Funktionär:innen des Schiedsamtes lesen keine Computer-Medien. Sonst hätte ihnen dieser Artikel bei Heise.de im April 2022 auffallen können, in dem der Konnektor und die Telematik-Infrastruktur kritisiert wurden, verfasst vom IT-Sicherheits-Experten Thomas Maus und dem c’t Redakteur Lorenz Schönberg. Zwei Tage vor dem Schiedsspruch, am 16.07.2022 ist in der c’t dieser Artikel erschienen (online-Version hier), von denselben Autoren. Darin wird technisch detailliert nachgewiesen, dass der Konnektor-Tausch technisch nicht erforderlich ist. Es würde reichen, den Konnektor mit dem Schraubenzieher zu öffnen, und darin drei Chips auszutauschen, die wie SIM-Karten aussehen und im Konnektor ähnlich wechselfreundlich befestigt sind, wie SIM-Karten im Handy. Die Konnektoren anderer Firmen brauchen gar nicht getauscht zu werden, sie können ein Online-Update bekommen. Damit aber deren Hersteller gegenüber CGM nicht benachteiligt werden, werden laut Schiedsamt auch ihre Konnektoren getauscht!

Besonders interessant ist, dass dieser erste und meistverkaufte Konnektor, die Koco-Box von CGM, auf einer Platine eines anderen Unternehmens beruht, die im Handel für 250 EUR zu haben ist. Dazu kommen nur weitere Standard-Teile, so dass die c’t-Autoren für die 2.300 EUR teure Box auf einen Herstellungspreis von 400 EUR kommen. Eine schöne Gewinnspanne von rund 400 Prozent, die CGM ja bereits einmal auf Kosten der Krankenversicherten verdient hat. Und die CGM jetzt, nach dem Schiedsspruch, ein weiteres Mal verdienen soll.

Das Echo

Die Kasssenärztliche Bundesvereinigung (KBV) will jetzt gegen den Schiedsspruch vorgehen. Mittlerweile soll es Aussagen des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zum Thema geben, wonach die Gültigkeit der Sicherheits-Zertifikate in den Konnektoren problemlos um 1-2 Jahre verlängert werden könnte, und der Austausch gar nicht erforderlich sei. Schließlich kommt ja 2024 die neue, super-sichere Architektur der Gematik, TI 2.0, ohne Konnektoren, die dann schließlich auch wieder bezahlt werden muss. Die Gematik hat das ja so angekündigt. Bis dahin könnte man die alten Konnektoren weiterlaufen lassen, laut BSI.

Nur müsste man mit dieser neuen Infrastruktur spätestens 2024 fertig werden, damit spätestens dann CGM wieder was verdienen kann. Bisher haben sich aber alle Projekte der Gematik um mehrere Jahre verzögert. Es wird wahrscheinlich so sein, dass die TI 2.0 erst 2026 oder -27 kommt. Sollen die Sicherheitszertifikate solange verlängert werden, und die Konnektoren bis dahin die ganze Zeit weiterlaufen? Was soll bis dahin aus CGM werden?

Wir berichten weiter!

2 Gedanken zu „Abzock-Maschen der Gematik“

  1. Sie schreiben:

    „Jede Arztpraxis ist gesetzlich verpflichtet, damit verbunden zu sein.“ – gemeint ist der Konnektor und die Telematik-Infrastruktur (TI).

    Das sehe ich so nicht!

    Stattdessen ist festzustellen:

    1. Um den Anschluss an die TI zu erzwingen, hat der Gesetzgeber Sanktionsregelungen in das SGB V aufgenommen (§ 291b Abs. 5 SGB V – https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/__291b.html).

    2. Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen, die sich dem Anschlusszwang widersetzen werden mit einem Honorarabzug von 2,5 % bestraft.

    3. Trotzdem haben sich – nach unterschiedlichen Zählungen – zwischen 3 und 10 % aller Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen in Deutschland dafür entschieden, in ihren Praxen keinen Konnektor anzuschließen.

    1. Der Verein „Patientenrechte und Datenschutz e.V.“ unterstützt den TI-Boykott der Ärzte, ebenso wie wir den EGK-Boykott unterstützt haben, solange er sinnvoll war. Für beides galt und gilt: Die BoykotteurInnen handeln nach dem Motto: „Wenn Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht.“

      Der von uns schärfstens verurteilte Gesetzesbefehl an die Ärztinnen und Ärzte, sich an die TI anzuschließen, steht in § 291 b Abs. 2 SGB V (Ihren Link anklicken!). Er ist ähnlich formuliert, wie der Gesetzesbefehl in der Straßenverkehrsordnung, bei rot stehenzubleiben. Deswegen sind wir gegen diese Vorschrift. Für Verstöße gegen beides gibt es relativ milde Sanktionen, verglichen mit den Sanktionen bei Nichtbeachtung anderer Gesetze, Beispiel: Wenden und Rückwärtsfahren auf der Autobahn wird viel härter bestraft. EGK-Boykotteure dürfen nicht behandelt werden. Die milderen Sanktionen bei TI-Boykott und roten Ampeln, im Vergleich zu EGK Boykott, sind ein Grund dafür, dass ein relevanter Anteil von Fußgängern bei rot über Ampeln gehen, und ein relevanter Anteil der Ärztinnen und Ärzte den TI-Anschluss verweigert, aber fast niemand mehr die EGK boykottiert. Eine milde Sanktion ist etwas ganz Anderes, als eine Erlaubnis, die an die Zahlung einer Gebühr gekoppelt ist. Wie zum Beispiel die Zulassung zur Ärzteschaft oder Rechtsanwaltschaft. Die Gebühren dafür dürfen nicht so hoch sein, dass sich nachher kein Arzt oder Rechtsanwalt mehr findet. Die Sanktionen für Rechts-Verstöße, und um einen solchen handelt es sich objektiv juristisch beim Konnektor-Boykott, die dürfen dagegen so abschreckend sein, dass fast niemand mehr das vom Gesetzgeber Unerwüschte tut.

      Diesen Unterschied sollte man kennen und verstehen, denn er wird langfristig politisch wichtig werden.

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