Gehören Metadaten zum Arztgeheimnis? oder: Sind Sie schon von Ihrer Krankenkasse über die Elektronische Patientenakte informiert worden?

fragt Wilfried Deiß, Facharzt für Innere Medizin / Hausarzt aus Siegen in einem Offenen Brief (nicht nur) seine Patient*innen.

Der aktuelle Anlass erscheine banal, so Deiß: Ihre Krankenkasse wird Sie fragen, ob sie die elektronische Patientenakte (=ePA) nutzen möchten. Die ePA ist sozusagen das zentrale Projekt der Gesundheitsdaten-Cloud, nämlich die Speicherung von Arztberichten von Fachärzten und Krankenhäusern. Sie sollen konkret die Frage beantworten, ob Ihre Arztberichte/ Krankenakte nicht nur in der Arztpraxis, sondern auch als Kopie in der Gesundheitsdaten-Cloud gespeichert werden sollen. Das ist Inhalt der Spahn’schen Digitalisierungsgesetze,,,“

Deiß rät den Versicherten: „Wenn Sie die Anfrage von der Krankenkasse bekommen: Achten Sie bitte mal darauf, ob Ihnen NUR die medizinischen Vorteile angepriesen werden. Ist die Frage an Sie offen gestellt? Versteht ein nicht informierter Patient, dass es um die Sp eicherung seiner Krankenakte in einem bundesweiten Datennetzwerk geht?“ Und er schlussfolgert: „Ehrlich und informativ gefragt wäre etwa so: Wollen Sie, dass Ihre Krankengeschichte und somit die persönlichsten Informationen, die es über Menschen gibt, in einer Cloud (=Großcomputer-Netzwerk) gespeichert werden und von Computer-Algorithmen automatisiert ausgewertet werden? Und das nicht nur für Ihre persönlichen medizinischen Zwecke, sondern auch für die Forschung und für die ‚Gesundheitswirtschaft‘? Wenn dass aus den Fragen/ Informationen Ihrer Krankenkasse NICHT hervorgeht, dann fragen Sie doch mal nach.“

Der Arzt aus Siegen stellt fest: Ganz klar: die jederzeitige Verfügbarkeit Ihrer Krankenakte bei jedem Arzt, den Sie konsultieren, klingt verlockend.“ Um anschließend die Frage aufzuwerfen: Aber was sind die „Nebenwirkungen“ der dauerhaften Speicherung in einer Gesundheitsdaten-Cloud? Und was ist außer der Verwendung bei Ihren ÄrztInnen mit den Daten NOCH geplant?“

Damit zum Titel-Thema: Metadaten, was ist das?“ fragt Deiss und erklärt, er sei selbst ein Fan von Cloud-Technologie. Ich halte das Internet für eine geniale Erfindung, aber wirklich genial nur für Informationen, die für die Öffentlichkeit gedacht sind. Ich habe auch nichts dagegen, wenn mein Musikgeschmack bekannt wird oder meine Landschaftsfotografien weltweit zu sehen sind. Daher verwende ich auch Cloud-Speicherung. Zudem bin ich seit 20 Jahren für eine Vereinfachung der Kommunikation im Gesundheitswesen, indem Ärzte/ Krankenhäuser/ Apotheken ihre Post als verschlüsselte Mail anstatt mit Briefmarken und Fax versenden, und zwar als Punkt-zu-Punkt-Übertragung ohne dauerhafte Speicherung. Von Technikfeindlichkeit bei mir und fast allen anderen ÄrztInnen also keine Spur. Aber wie ist das mit den persönlichsten Informationen, die au guten Gründen seit über 2000 Jahren dem Arztgeheimnis unterliegen und gleichzeitig auch die Grundlage für das Vertrauensverhältnis von Arzt und Patient bilden? Sollten Arztberichte/ Krankenakten wirklich ausserhalb von Praxen und Krankenhäusern kollektiv und zentral in einer Gesundheitsdaten-Cloud gespeichert werden? Die Kenntnis über Depressionen, Suchterkrankungen, Suizidtendenzen, Geschlechtskrankheiten, Abtreibungen, Straftaten, Häusliche Gewalt, Krisen, Konflikte, Vergewaltigung, genetischen Erkrankungsrisiken, das sind nun mal keine Kleinigkeiten, sondern das hat Bedeutung für ein ganzes Leben und womöglich noch für die nachfolgenden Generationen. All das findet sich in Krankenakten.“

medizinische Metadaten von Ihnen werden auch gesammelt, wenn Sie der ePA NICHT zustimmen so Deiß. Zum einen gibt es schon massenhaft Metadaten von Ihnen. Seit 2000 ist nämlich für ÄrztInnen vorgeschrieben, dass mit den Abrechnungsziffern m Ende jedes Quartals auch die ICD-Codes(=Diagnosenkürzel) der behandelten Krankheiten an die Kassenärztliche Vereinigung und dann an Ihre Krankenkasse gesendet werden. Wer wegen einer Depression in Behandlung ist, hat dann ICD-Code {F32.9G}. Bundesbürger haben durchschnittlich im Jahr 18 Arztkontakte, bei jedem Arztkontakt wird mindestens 1 Diagnose gestellt. Da können Sie mal die Anzahl der ICD-Codes berechnen, die seit 2000 schon bei den Krankenkassen gesammelt worden sind. Schon jetzt können Sie davon ausgehen, dass keine Einrichtung so viele Informationen über Sie hat wie die Krankenkasse. Diese Milliarden an Diagnosenkürzeln aller Krankenkassen sind über die Server/ Datenspeicher der Krankenkassen bereits mit der Gesundheitsdaten-Cloud verbunden. Es gibt also bereits einen Pool von Milliarden Gesundheits-Metadaten. Aber es geht noch weiter…“

Um Arztberichte besser ‚maschinenlesbar‘ zu machen, hat das Bundesministerium für Forschung für etliche Millionen EURO eine Lizenz erworben für ein komplexes Klassifikationssystem namens SNOMED-CT, welches die frei formulierten Textinhalte wiederum in einen Code umwandeln kann. Es handelt sich um mehrere hunderttausend Codes mit deren Hilfe die ‚Künstliche Intelligenz‘ Arztbriefe verstehen können soll. Könnte etwa bedeuten, dass der Algorithmus aus der Aussage ‚Patientin hat die Freude am Leben völlig verloren‘ den Code für ‚Suizidalität‘ macht. Oder aus ‚längerfristiger erhöhter Konsum von Spirituosen‘ wird ‚Alkoholkrankheit‘. Jedenfalls werden auf diesem Wege große Mengen von Metadaten aus Arztberichten entstehen. Und die Datenspeicherung im Netz hat eine besondere Eigenschaft: was einmal drin steht, lässt sich nur äußerst schwierig oder gar nicht entfernen. Ganz anders bei der persönlichen Arzt-Patient-Beziehung: Wenn ein Patient nach einer Scheidung ein halbes Jahr schwer depressiv und ständig betrunken war, danach aber gestärkt aus der Krise hervorging und nie wieder einen Tropfen Alkohol angerührt hat, werde ich in einem Ärztlichen Gutachten 10 Jahre später niemals eine Diagnose mit Bezug zum Alkohol stehen lassen.“

Metadatenproduktion gibt es aber nicht nur durch die ePatientenakte. Massenhaft Daten werden auch entstehen durch die Versendung von Rezepten als eRezept und durch die eArbeitsunfähigkeitsbescheinigung, denn auch diese Information sollen über die Telematik-Infrastruktur versendet werden. Dabei gibt es keine Freiwilligkeit. (Auch für Ärzte gibt es keine Freiwilligkeit, Nicht-Anschluss von Praxen oder Krankenhäusern wird finanziell bestraft). Das war noch nicht alles zur Metadatenproduktion: es gibt einen weiteren Zwang. Denn die komplette Kommunikation im Gesundheitswesen MUSS in Zukunft über das ‚Mastersystem‘ Gesundheitsdaten-Cloud laufen. Der dafür vorgesehene eMail-Dienst heißt KIM = Kommunikation Im Gesundheitswesen. Also werden auch alle Arztberichte über KIM versendet. Es ist sehr wahrscheinlich, dass aus KIM-Mail Metadaten produziert werden, auch wenn der eigentliche Versand verschlüsselt erfolgen wird.“

Der Offenen Brief von Herrn Deiß ist hier im Wortlaut nachlesbar.

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