Umfrage der Siemens-Betriebskrankenkasse zur elektronischen Patientenakte: Ein Musterbeispiel manipulativer Fragen und Bewertungen

Unter dem Titel Je mehr Kontakt mit dem Gesundheitssystem, umso offener für Digitalisierung“ veröffentlichte die Siemens-Betriebskrankenkasse (SBK) am 20.12.2021 in einer Pressemitteilung Ergebnisse einer von ihr in Auftrag gegebenen und bezahlten Umfrage zur Nutzung der elektronischen Patientenakte (ePA). Danach sollen „rund drei Viertel der chronisch beziehungsweise langfristig Erkrankten (74 Prozent) und älteren Menschen ab 55 Jahren (72 Prozent)… der Auffassung“ sein, „dass der Schutz von gesundheitsbezogenen Daten so gestaltet sein muss, dass ein digitaler Austausch von Daten zwischen Ärzt*innen und weiteren Akteur*innen des Gesundheitswesens unkompliziert möglich ist.“

Tatsächlich bewegt sich auch zu Beginn des Jahres 2022 nicht nur bei der SBK die Zahl der Inhaber*innen von ePA‘s im Promillebereich:

  • In einem Beitrag des ARD-Magazins plusminus vom 18.08.2021 wird informiert: „In Deutschland haben sich bisher erst 260.000 Versicherte für die neue Patientenakte angemeldet“. Im Jahr 2020 waren in der Bundesrepublik rund 73,36 Millionen Menschen in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert. Das bedeutet, dass 2020 weniger als 0,5 % aller gesetzlich Krankenversicherten eine ePA für sich beantragt haben.
  • Nicht anders entwickeln sich die Nutzer*innen-Zahlen bei der SBK. Mit 1,077 Mio. Versicherten ist die SBK eine der großen gesetzlichen Krankenversicherungen und zugleich die größte Betriebskrankenkasse in Deutschland. In ihrem Digitalisierungsticker weist die SBK für die 40. – 50. Kalenderwoche 2021 insgesamt 789 freigeschaltete ePA‘s (= durchschnitlich 72 pro Woche) für die Versicherten der SBK aus. Dümpelte die Zahl der wöchentlich freigeschalteten ePA‘s bis zur 46. Kalenderwoche zwischen 20 und 41 pro Woche, waren es in den Kalenderwochen danach zwischen 89 und 240. Selbst unter der für die SBK günstigen Annahme, dass sich 2021 wöchentlich durchschnittlich 72 Versicherte eine ePA beantragten, wäre dies eine Gesamtzahl von 3.744. Gemessen an der Versichertenzahl der SBK entspricht dies einer Quote von 0,35 %.

Quelle: SBK-Digitalisierungsticker

In der Pressemitteilung der SBK wird eingangs festgestellt: Die Menschen sind von den Mehrwerten, die die Digitalisierung im Gesundheitswesen mit sich bringen wird, noch nicht gänzlich überzeugt. Lediglich 60 Prozent der Befragten glauben, dass der digitale Austausch von Daten die Gesundheitsversorgung verbessert. 34 Prozent geben an, dass ihrer Meinung nach ein verstärkter Datenaustausch zwischen Ärzt*innen und anderen Akteur*innen im Gesundheitswesen die Versorgung nicht nennenswert verbessert. 25 Prozent der Befragten finden es sogar besser, wenn die Informationen aus Datenschutzgründen weiterhin auf Papier weitergegeben werden.“ Wie viele der Befragten tatsächlich bereits im Besitz einer ePA sind, wurde nicht erhoben (oder zumindest nicht durch die SBK veröffentlicht).

Das hindert die SBK aber nicht an einer massiven Schelte in Richtung Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen.

Quelle: Pressemitteilung der SBK vom 20.12.2021

Unter der Zwischenüberschrift Ärztinnen und Ärzte sind unverzichtbarer Bestandteil der Aufklärung“ wird mitgeteilt: „… So wurde am Beispiel der elektronischen Patientenakte abgefragt, welchen Raum die Digitalisierung bei den letzten Arztbesuchen einnahm: 83 Prozent der Befragten gaben an, dass die ePA dort bisher kein Thema war. Bei je 2 Prozent der Befragten wurde die ePA bei einem Praxisbesuch zwar thematisiert, aber die Praxis hat nicht die technische Möglichkeit oder hat sogar von der Nutzung abgeraten. Nur 1 Prozent der Befragten hat angegeben, dass ihre Ärztin oder ihr Arzt bereits mit der ePA arbeitet.“

Unterschlagen wird von der SBK, dass Aufklärung über und Werbung für die ePA in den §§ 341 – 345 SGB V zur alleinigen Aufgabe der Krankenkassen erklärt wird. Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen sind dazu weder verpflichtet noch wird ihnen eine solche Aktivität vergütet.

Insgesamt sind allein diese Zahlen und Informationen ausreichende Begründungen, um die Seriosität der von der SBK in Auftrag gegebenen Umfrage und die Präsentation ihrer Ergebnisse zu bezweifeln.

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