Wilfried Deiß, Facharzt für Innere Medizin und Hausarzt in Siegen, seit vielen Jahren engagiert in der Auseinandersetzung um die Digitalisierung im Gesundheitswesen, hat sich im Januar 2020 mit einer Stellungnahme zum Thema Telematik-Infrastruktur und Nurtzung einer elektronischen Patientenakte an die Patient*innen in seiner Praxis gewandt und diese Information auch auf seiner Homepage für alle interessierten Versicherten veröffentlicht. Nachstehend einige Auszüge:
- „Mittlerweile hat fast jeder gesetzlich versicherte Patient die eGK=Elektronische Gesundheitskarte. Aber nur eine Minderheit weiß: die eGK ist nicht nur die Bestätigung für die bestehende Krankenversicherung, sondern vor allem der SCHLÜSSEL zum DERZEIT WELTWEIT GRÖSSTEN IT-VERNETZUNGSPROJEKT WELTWEIT. Das Netzwerkprojekt heisst TELEMATIK-INFRASTRUKTUR. Diesen Begriff kennt kaum ein Patient, obwohl jeder betroffen ist. Dieses Projekt dient nicht nur der ‚Verbesserung der Kommunikation‘, sondern vor allem der dauerhaften Speicherung von Patientendaten und zur Weiterverarbeitung und Verwendung dieser Daten. Diese „Daten“ sind anders als alle anderen: es handelt sich nämlich um IHRE PERSÖNLICHE KRANKENAKTE, die bisher nur bei Ärzten gespeichert und unter dem Schutz des ARZTGEHEIMNISSES AUFBEWAHRT wird…“
- „Nun sagen die Befürworter und die, die daran verdienen: Das ist doch kein Problem, es geht doch um die Elektronische Patientenakte im ‚Gesundheits-Netz‘. Da muss doch, so steht es im Gesetz, der Patient zustimmen, die Nutzung der ePA ist also FREIWILLIG. Wo ist also das Problem? Die Befürworter betonen, die Medizin werde doch viel besser, wenn alle Ärzte, denen Sie die Erlaubnis erteilen, zu jeder Zeit auf die Arztberichte in Ihrer persönlichen Patientenakte zugreifen können. Dafür baue man die ‚Datenautobahn‘ im Gesundheitswesen…“
- „Das gigantische Netzwerkprojekt hat bisher mindestens 5 Milliarden auf Kosten der Versicherten verschlungen, wird noch viel teurer, und wird aufgebaut vor allem von Bertelsmann-Arvato sowie IBM und anderen privaten IT-Profiteuren. Was auch meist nicht erwähnt wird: noch immer 20-30 Prozent der niedergelassenen ÄrztInnen verweigern den Anschluss iher Praxis trotz Strafzahlung von einigen Tausend EUR im Jahr. Dazu gehört auch unsere Praxis. Und von denen, die angeschlossen sind, hat sich die Mehrheit nur wegen der Strafandrohung anschließen lassen…“
- „Bisher kann das Milliarden-Projekt als einzige Anwendung das ‚Versichertenstammdaten-Management‘ (wenn Ihre eGK ins Lesegerät gesteckt wird, werden die Verwaltungsdaten mit dem Krankenkassen-Server abgeglichen). Aber: bei diesem Vorgang werden bereits DIAGNOSEN von der Teilnahme an ‚Chronikerprogrammen‘ in die Arztgeheimnis-Cloud übermittelt. Also sind Diagnosen wie Diabetes, Koronare Herzkrankheit, Asthma, COPD, Mamma-Karzinom (und demnächst Depression) schon drin. Und zwar OHNE ZUSTIMMUNG DER PATIENTEN. Wussten Sie das?“
- Nochmal SKEPSIS: seit Anfang Januar ist das DVG = Digitale Versorgungs Gesetz in Kraft. Da steht drin, dass Krankenkassen Diagnosen ‚pseudonymisiert‘ (da steht nicht mehr Ihr Name dabei, wohl aber Wohnort, Alter, Geschlecht….) OHNE ZUSTIMMUNG DURCH DIE PATIENTEN ‚für die Forschung‘ weitergeben dürfen. Wussten Sie das? Zur Erläuterung: Krankenkassen verfügen bereits über eine Unmenge von „Diagnose-Codes“, sog. ICD-Codes. Diese ICD nenne ich ‚Ungefähr-Diagnosen‘. Da steht etwa „I10“ für Bluthochdruck, aber man erfährt nicht, wie schlecht der Blutdruck ist oder wie lange er schon besteht. Seit dem 1.1.2000 gilt für Ärzte in Praxen und Krankenhäusern die Pflicht, Diagnosen als ICD-Code zu verschlüsseln. Wenn Ärzte Ihre Abrechnung machen am Quartalsende, senden Sie ein Datenpaket mit Abrechnungsziffern (also was gemacht worden ist, Gespräch, Lungenfunktion, Labor….) und ICD-Diagnosen an die Kassenärztlichen Vereinigungen. Dort wird dann berechnet, wieviel Geld die Arztpraxis erhält. Und die ICD-Diagnose-Codes gehen weiter an die Krankenkassen…“
- „Es ist davon auszugehen, dass Millionen bis Milliarden Diagnosen auf den Krankenkassen-Servern lagern. Diese Informationen wurden bisher nur intern verwendet. Inzwischen sind die Krankenkassen-Server an die Telematik-Infrastruktur angeschlossen. Was ich nun gern wissen möchte, aber noch nicht sicher beantworten kann: Sind denn nun auch diese ICD-Diagnosen – OHNE ZUSTIMMUNG DER PATIENTEN – ein Teil des Systems und dürfen nach DVG ‚für die Forschung‘ bereitgestellt werden? Und wenn ja, gilt das nur für die Diagnosen nach dem 1.1.2020 oder auch rückwirkend?“
Das Wartezimmer-Info von Wilfried Deiß ist hier im Wortlaut nachlesbar.