Die Landesregierung von SPD und Linken in Mecklenburg-Vorpommern plant, das Landeskrankenhausgesetz (LKHG) an einem entscheidenden Punkt zu ändern. Statt
- Opt-in (einzelne Patient*innen stimmen der Nutzung Ihrer Gesundheits- und Behandlungsdaten für Forschungszwecke zu) soll zu
- Opt-out (alle Gesundheits- und Behandlungsdaten aller Krankenhauspatient*innen dürfen für Forschungszwecke verwendet werden, sofern einzelne Patient*innen dem nicht widersprechen)
gewechselt werden. Zugleich soll die bisherige Regelung,
- wonach Gesundheits- und Behandlungsdaten grundsätzlich anonymisiert und nur im Ausnahmefall pseudonymisiert genutzt werden dürfen,
- durch eine generelle Pseudonymisierung ersetzt werden.
Bei besonders sensiblen und nach Art. 9 DSGVO besonders geschützten personenbezogenen Daten soll damit ein Zugriff Dritter zu Lasten des informationellen Selbstbestimmungsrecht der Krankenhaus-Patient*innen deutlich erleichtert werden.
Die bisherige Regelung in § 37 LKHG Mecklenburg-Vorpommern:
„(1) Die Verarbeitung und Nutzung von personenbezogenen Daten von Patientinnen und Patienten, die im Rahmen des § 33 Absatz 1 erhoben worden sind, sind für Forschungszwecke zulässig, wenn die Patientinnen und Patienten eingewilligt haben.
(2) Ohne Einwilligung der Patientinnen und Patienten dürfen die Daten nach Absatz 1 nur für bestimmte, im öffentlichen Interesse liegende Forschungsvorhaben verarbeitet werden, soweit
1. schutzwürdige Belange der Patientinnen und Patienten wegen der Art der Daten, ihrer Offenkundigkeit oder der Art ihrer Nutzung nicht beeinträchtigt werden oder
2. das für die Aufsicht für das Krankenhaus zuständige Ministerium festgestellt hat, dass das öffentliche Interesse an der Durchführung des Forschungsvorhabens die schutzwürdigen Belange der Patientinnen und Patienten erheblich überwiegt und der Zweck des Forschungsvorhabens auf andere Weise, insbesondere mit anonymisierten Daten, nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand erreicht werden kann.
(3) Personenbezogene Daten von Patientinnen und Patienten sind für Forschungszwecke zu anonymisieren. Kann der Forschungszweck auf diese Weise nicht erreicht werden, ist die Verarbeitung mit pseudonymisierten Daten zulässig…“
Wissenschaftsministerin Bettina Martin (SPD) erklärt zu den im Landeskrankenhausgesetz Mecklenburg-Vorpommern geplanten Änderungen u. a.: „Medizinischer Fortschritt ist nur mit guter Forschung möglich. Deshalb beseitigen wir gesetzliche Hindernisse für eine bessere Forschung und damit zum Wohle der Patientinnen und Patienten. Wir stärken mit der Gesetzesänderung die Innovationskraft des Landes. Versorgung und Prävention werden damit erleichtert. In Universitätskliniken werden täglich Daten erhoben, die Auswertung ist bisher schwer. Forscherinnen und Forscher müssen Krebs, Volkskrankheiten, seltene Erkrankungen besser verstehen und behandeln. Dazu bedarf es effizienter Forschungsbedingungen und weniger Bürokratie… Es ist geradezu eine ethische Verpflichtung, dass wir die gesetzlichen Hindernisse, mit der die Forschenden in den Universitätskliniken zu kämpfen haben, aus dem Weg räumen…“
*Gesundheitsstaatssekretärin Sylvia Grimm (SPD) ergänzt: „… Besonders im Fokus stehen seit einiger Zeit neue Durchbrüche im Bereich der Datenverarbeitung und der künstlichen Intelligenz. Wo bisher durch teils mehrjährige Antragsverfahren und einzelne Dateninseln die Arbeit der Forschung erschwert wurde, soll es künftig einfacher werden, aus großen Datenmengen neues Wissen zu generieren. Wir wollen zudem die Möglichkeiten der Datennutzung auch für die Entwicklung von künstlicher Intelligenz im Rahmen von Forschungsvorhaben öffnen…“
In den kommenden Wochen soll ein Gesetzesentwurf von der Landesregierung beschlossen und in den Landtag eingebracht werden.
Der Landesdatenschutzbeauftragte von Mecklenburg-Vorpommern, Stefan Schmidt, steht dem Vorhaben grundsätzlich aufgeschlossen bzw. zustimmend gegenüber, wie aus einer gemeinsamen Pressemitteilung der Landesregierung und des Landesdatenschutzbeauftragten vom 11.07.2023 hervorgeht.
Eure Vermutung, dass in MeckPomm erstmals Gesundheits- und Behandlungsdaten von Patientinnen und Patienten an Unikliniken ohne vorherige Einwilligung der Betroffenen für Forschungszwecke genutzt werden sollen, scheint irrig zu sein. Zumindest in Bayern scheint das so bereits zu sein.
Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz hat in seinem 32. Tätigkeitsbericht für 2022 unter Punkt 7.1 „Nutzung von Gesundheits- und Patientendaten zu Forschungszwecken durch Universitätsklinika“ darauf hingeweisen, dass mit dem novellierten Bayerische Universitätsklinikagesetz, das am 2. Januar 2023 in Kraft getreten ist, eine solche Regelung bereits besteht.
Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz stellt dazu u. a. fest:
„Das zentrale datenschutzrechtliche Thema des Gesetzes ist die Einführung neuer Rechtsgrundlagen für die Verarbeitung von Patientendaten zu wissenschaftlichen Forschungszwecken durch die Universitätsklinika (Sekundärnutzung)…
Den datenschutzrechtlichen Schwerpunkt des Änderungsgesetzes bilden die neu gefassten Absätze 3 und 4 des Art. 16 BayUniKlinG. Sie lauten wie folgt:
‚(3) 1Personenbezogene Daten müssen im Rahmen eines Behandlungsverhältnisses bei dem oder der Behandelten von am Klinikum oder an der zugehörigen Universität tätigen Ärztinnen und Ärzten gemäß den Vorgaben des Bayerischen Krankenhausgesetzes verarbeitet werden. 2Sie dürfen auch an andere Angehörige des wissenschaftlichen Personals des Klinikums oder der Universität, der das Klinikum… zugeordnet ist, übermittelt werden und von diesen auch zu eigenen Forschungszwecken verarbeitet werden, wenn… 3. im Falle, dass weder auf die Zuordnungsmöglichkeit verzichtet noch die Einwilligung mit verhältnismäßigem Aufwand eingeholt werden kann, das öffentliche Interesse an der Durchführung des Forschungsvorhabens die schützenswerten Interessen der betroffenen Person erheblich überwiegt und der Forschungszweck nicht auf andere Weise zu erreichen ist…‘
Aus Datenschutzsicht wird dabei ein grundlegender Paradigmenwechsel vollzogen: Während nach bisherigen Maßstäben (des für Universitätsklinika gemäß Art. 15 Abs. 2 BayUniKlinG entsprechend anwendbaren Art. 27 Abs. 5 BayKrG) die Übermittlung von personenbezogenen Gesundheitsdaten an Dritte zu wissenschaftlichen Forschungszwecken unterschiedslos die Einwilligung der betroffenen Person erforderte, erlaubt die Neufassung den Universitätsklinika als Verantwortlichen künftig eine Übermittlung an Dritte auch ohne vorherige Einwilligung der betroffenen Personen…
Auch das Widerspruchsrecht der betroffenen Person nach Art. 21 DSGVO sowie weitere Betroffenenrechte erfahren mit der Gesetzesnovelle Beschränkungen…
Der Gesetzgeber eröffnet damit den Universitätsklinika als Datenverarbeitern in sehr weitem Umfang die Möglichkeit, wesentliche Betroffenenrechte, insbesondere das Widerspruchsrecht der betroffenen Person, das nach meinem Dafürhalten voraussetzungslos gelten sollte, unter Berufung auf Forschungszwecke einzuschränken. Das halte ich gerade im Hinblick auf die hohe Sensibilität der hier in Rede stehenden Gesundheitsdaten und den weiten Adressatenkreis für eine sehr weitgehende Beschränkung der Betroffenenrechte…“
Hier ist die Quelle des längeren Zitats:
https://www.datenschutz-bayern.de/tbs/tb32/tb32.pdf
Dort nachzulesen auf den Seiten 75 – 78.