Grundrechtseinschränkungen in Zeiten von Corona – über Verhältnismäßigkeit, Technikeinsatz und überzogene Erwartungen

Sogenannte Corona-Apps – inzwischen werden dazu eine Vielzahl von Varianten entwickelt – sind nach Ansicht vieler Politiker*innen, aber auch verängstigter „Normalbürger*innen“, ein geeignetes Hilfsmittel gegen die Corona-Pandemie. In einer Stellungnahme des Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e. V. vom 12.04.2020 werden Maßstäbe benannt, die bei der Einschränkung von Grundrechten (im Falle der Corona-Apps: des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung) zu beachten sind.Nachstehend ein Auszug aus der Stellungnahme:

Aktuell wird viel über die Einschränkung von Grundrechten zum Schutze der Bevölkerung diskutiert, dabei geht es um Themen wie etwa Ausgangsbeschränkungen oder aber das Auswerten von Bewegungs- oder Kontaktdaten, beides zum scheinbar übergeordneten Zweck der Pandemieeindämmung. Gerade bei zweiterem fallen dann Sätze wie „Datenschutz kostet Leben“, was beängstigend an das ebenso falsche „Datenschutz ist Täterschutz“ erinnert. Dabei müsste in diesen Diskursen eigentlich klar sein, dass es hier keine eindeutig gebotenen Handlungen gibt. Es stehen sich unvereinbare Grundrechte gegenüber, sodass die Stärkung einer Seite immer zulasten der anderen geht. So mag eine Ausgangsbeschränkung das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit schützen, sie schränkt jedoch im gleichen Atemzug die Bewegungsfreiheit, Freizügigkeit und sogar Demonstrationsfreiheit ein. Gleiches gilt für die Nutzung von Bewegungsdaten aus dem Mobilfunknetz oder anderer Ortsdaten zur Verfolgung von Infektionsketten. Diese greift ganz wesentlich in das Grundrecht auf Datenschutz und sogar die Menschenwürde ein.

Tatsächlich müssen in diesen und anderen Fällen also verschiedene gegenläufige Grundrechte gegeneinander abgewogen werden. Das muss immer in Bezug auf ganz konkrete Maßnahmen und ihre konkrete Ausgestaltung passieren. Bevor eine letzliche politische Entscheidung getroffen werden kann, braucht es während der Abwägungsphase natürlich auch verschiedene fachliche Kompetenzen, um die Implikationen und Handlungsspielräume zu erörtern. Darum äußert sich das FIfF zu den aktuellen technischen Fragestellungen, denn hier kommt es auf das (technhttps://www.pepp-pt.org/ische) Detail und die konkrete Ausgestaltung an.

Das Verhältnismäßigkeitsprinzip

Zunächst jedoch ein paar Worte zum üblichen methodischen Vorgehen dieses Abwägungsvorgangs. Die verfassungstheoretische Grundlage ist dabei das sogenannte Verhältnismäßigkeitsprinzip. Dabei wird eine grundrechteeinschränkende Maßnahme in vier grundsätzlichen Schritten analysiert. Diese fragen konkret danach, ob die Maßnahme

  • einem legitimen Zweck dient,
  • geeignet ist, diesen Zweck zu erreichen,
  • erforderlich ist, diesen Zweck zu erreichen (es also kein milderes, gleich geeignetes Mittel gibt) und
  • ob die Maßnahme angemessen ist.

Eine Maßnahme ist dann legitim, wenn ihr Zweck grundsätzlich im Bereich der dem Staate übertragenen Aufgaben liegt. Geeignet ist sie, wenn sie diesem Zweck grundsätzlich kausal dienen kann. Erforderlich ist sie, wenn kein schwächeres Mittel geeignet ist, diesem Zweck zu dienen. Angemessenoder verhältnismäßig im engeren Sinne — ist eine Maßnahme, wenn die Schwere der Grundrechtseingriffe bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht. Im letzten Schritt findet also eine sogenannte Rechtsgüterabwägung statt. Diese ist niemals nur rechtlich abhandelbar, sondern hat immer auch eine politische Dimension.

Diese Maßstäbe werden dann in der FifF-Stellungnahme zur Bewertung der unterschiedlichen technischen Möglichkeiten für Corona-Apps genutzt.

Abschließend erklärt das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e. V.: „Nach diesem Schema müssen alle aktuellen und zukünftigen Technikanwendungen analysiert werden, nur so können Schnellschüsse und eine weitere Aushöhlung der Grundrechte verhindert werden. Dies gilt insbesondere in Notfällen wie der aktuellen Pandemie. Grundrechte gelten auch in Notsituationen oder besser gesagt: gerade in Notsituationen müssen die Grundrechte gelten.

Der gesellschaftliche Fetisch hin zu informationstechnischen Lösungen für komplexe Probleme scheint nach wie vor ungebrochen und allzu oft werden dadurch alternative Herangehensweisen in den Hintergrund gedrängt oder unnötig Hoffnung geschürt. Und schon wird die App zum „entscheidenden Schlüssel“. Aus diesem Grund müssen wir gerade in Notlagen besonders wachsam sein und den schnellen Verlockungen einfacher technischer Lösungen für extrem komplexe soziale Probleme widerstehen. So scheint es etwa zur Pandemieeindämmung weit sinnvoller zu sein, die staatlichen Bestrebungen auf Maskennutzung und Erhöhung der Testkapazität auszurichten, als auf die Erstellung einer magischen Corona-Tracing-App.“

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