Ein Blick über die Grenze: Die elektronische Patientenakte (ePA) in Frankreich

Der Bertelsmann-Konzern ist mit der Konzerntochter Arvato Systems ganz dick im Geschäft beim Verkauf von Komponenten für die Telematikinfrastruktur im Gesundheitswesen in Deutschland.

Zugleich ist die Bertelsmann-Stiftung seit vielen Jahren Propagandist der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Unter dem Titel „Digitalisierungsstrategien im internationalen Vergleich“ hat sie im November 2018 auf mehr als 300 Seiten aufgelistet, was im (außer-)europäischen Ausland in den letzten Jahren / Jahrzehnten an (Fehl-)Entwicklungen festzustellen ist. 18 dieser Seiten beschäftigen sich mit der Entwicklung in Frankreich. Sie sind lehrreich – auch für Kritiker*innen der von (Noch-)Bundesgesundheitsministerter Jens Spahn (CDU) forcierten Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens. Und sie weisen durchaus Parallelen zur Entwicklung im deutschen Gesundheitswesen auf.

Einige (chronologisch sortierte) Auszüge:

  • Die französische Form der ePA, das Dossier Médical Partagé (DMP; vor 2016: Dossier Médical Personnel), wurde durch das Krankenversicherungsreformgesetz im August 2004 als Pilotprojekt eingeführt. Es sollte dazu dienen, relevante Patientendaten auf einem Online-Portal zu dokumentieren… Nach einer langen Phase des Pilotierens wurde das DMP erstmals 2011 landesweit in Betrieb genommen… Die gesamten Implementierungskosten des DMP beliefen sich auf 210 Millionen Euro. Nach rund anderthalb Jahren stellte die Regierung anhand einer Umfrage fest, dass nur ungefähr 160.000 Patientenakten erstellt worden waren, wobei rund 90.000 keine Informationen enthielten. Unter diesen Umständen stellten die Behörden die Verwaltung des DMP im Herbst 2012 ein…“ (Studie S. 318)
  • Auf die Einstellung des DMP folgte eine vierjährige Stagnationsphase, während der sich die reinen Unterhaltskosten des Systems auf 35 Millionen Euro beliefen, da das System trotz Nichtinbetriebnahme gewartet werden musste. In Folge des Gesetzes zur Modernisierung des Gesundheitssystems vom 26.1.2016 wurde der Betrieb des DMP wieder aufgenommen…“ (Studie S. 318)
  • Bisher war der Mehrwert des DMP durch die große Anzahl an inhaltsleeren Akten nicht gegeben. Diese entstanden dadurch, dass sich Patienten zwar ein eigenes Dossier anlegten, ihnen die Nutzung jedoch zu kompliziert war und gleichzeitig nur wenige Ärzte in der Lage waren, das DMP sinngemäß zu nutzen und mit Daten zu füllen…“ (Studie S. 318)
  • Derzeit (die Studie wurde im November 2018 veröffentlicht) befindet sich das DMP in einer erneuten Pilotphase… Statistiken zufolge hat die Erneuerung des DMP schon erste Erfolge zu verzeichnen. So wurden z. B. im April 2017 etwa 10.000 neue DMPs pro Woche erstellt. Der derzeitige Stand des Pilotprojektes für den Neustart des DMP verrät, dass zwischen Anfang 2017 und Oktober 2017 etwa 260.000 Akten erstellt wurden. Ziel des neuen DMP sei, das System ‚so einfach wie möglich zu machen‘ und ‚den Versicherten die Hauptverantwortung über deren Akte zu übergeben‘. Zudem sollen während der Pilotphase weitere Ziele verfasst werden… Dabei sollen insbesondere Sicherheit und Nutzerfreundlichkeit an erster Stelle stehen. Zum Beispiel soll der Zugriff auf das DMP auch per Smartphone möglich sein. Ein weiteres Ziel ist die Einführung von E-Rezepten. Auf der Agenda steht dabei die Einführung von QR-Codes auf Verschreibungen, die dann vom Apotheker gescannt und gelesen werden…“ (Studie S. 319)
  • Datenschutzbedenken spielen bei der Digitalisierung des französischen Gesundheitssystems eine eher untergeordnete Rolle. So wird das DMP zurzeit… mit den Abrechnungsdaten aller Versicherten gespeist, um die persönliche ePA zu füllen.“ (Studie S. 321)
  • Die Ausgaben für den IT-Bereich im französischen Gesundheitssystem belaufen sich auf etwa 2 bis 3 Milliarden Euro, was ca. 1 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben des Landes ausmacht. An Digital-Health-Ausgaben entfallen etwa 80 bis 140 Millionen Euro auf die Weiterentwicklung der Telemedizin. Der größte Posten – etwa 210 Millionen Euro – entfällt auf die Entwicklung des DMP; weitere 35 Millionen Euro kommen hinzu, da das DMP gewartet werden musste, obwohl es lange außer Betrieb war…“ (Studie S. 323)

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  • In Deutschland begleiten Pleiten, Pechund Pannen die Telematikinfrastruktur und ihre Betreibergesellschaft, die gematik, von Beginn an. Nach der Darstellung der Bertelsmann-Stiftung ist offensichtlich auch die Digitalisierung des Gesundheitswesens in Frankreich nicht frei davon.
  • Frankreich hatte im Jahr 2020 65,12 Mio. Einwohner*innen.
  • Seit der Einführung des allgemeinen Krankenversicherungsschutzes (couverture médicale universelle, CMU) ist die gesamte Bevölkerung krankenversichert… Zwei Drittel der Franzosen (2020 = 43,41 Mio. Menschen) unterliegen dem allgemeinen gesetzlichen Versicherungssystem. Die anderen unterstehen Sondersystemen mit eigenen Beitrags- und Leistungsregelungen (Quelle: Konrad-Adenauer-Stiftung).

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