Bundesverfassungsgericht: Auch Strafgefangene haben grundsätzlich Anspruch auf Einsicht in ihre Krankenakte – das grundrechtliche Informationsinteresse des Patienten wiegt im Strafvollzug besonders schwer

Ein Strafgefangener hat grundsätzlich einen Anspruch auf Einsicht in seine Krankenakte. Das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes geschützte Informations­interesse des Patienten wiegt im Strafvollzug besonders schwer. Dies hat das Bundesverfassungsgericht nach einer Verfassungsbeschwerde mit Beschluss vom 20.12.2016 (Aktenzeichen: 2 BvR 1541/15) entschieden.

Die Verfassungsbeschwerde betraf die Voraussetzungen des Anspruchs eines Strafgefangenen auf Einsicht in seine Krankenakte. Der Beschwerdeführer verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Straubing in Bayern. Der Beschwerdeführers hatte im Juni 2013 davon erfahren, dass im Jahre 2007 eine von ihm abgegebene Blutprobe ohne seine Zustimmung auf HI-Viren geprüft worden sei. Daraufhin beantragte er bei der Justizvollzugsanstalt umfassende Einsicht in seine Krankenakte. Eine bloße Aktenauskunft genüge nicht, da er nicht angeben könne, welche Aktenteile er einsehen müsse, um etwaige Rechtsverstöße reklamieren zu können. Nachdem ihn die Justizvollzugsanstalt aufgefordert hatte, seinen Antrag zu konkretisieren, erklärte der Beschwerdeführer erneut, dass er sein Begehren nicht eingrenzen könne. Insbesondere habe er schon zahlreiche Blutproben abgegeben und gehe davon aus, dass alle durchgeführten Blutuntersuchungen rechtswidrig gewesen seien. Die Justizvollzugsanstalt lehnte den Antrag ab und führte aus, dass der Beschwerdeführer gemäß Art. 203 Bayerisches Strafvollzugsgesetz lediglich einen Anspruch auf Aktenauskunft habe. Daraufhin stellte der Strafgefangene beim Landgericht Regensburg einen Antrag gerichtet auf Gewährung der Einsicht in seine Krankenakte. Das Landgericht Regensburg wies den Antrag zurück. Die Absicht die Krankenakte auf Rechtsverstöße zu überprüfen, sei nicht geeignet, den Anspruch auf Akteneinsicht zu begründen. Andernfalls könne jeder Gefangene regelmäßig Akteneinsicht verlangen, was der Regelung in Art. 203 des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes zuwiderlaufen würde. Nachdem sein Begehren auch vor dem Oberlandesgericht Nürnberg erfolglos blieb, erhob der Strafgefangene Verfassungsbeschwerde.

Das Bundesverfassungsgericht entschied zu Gunsten des Strafgefangenen. Ihm stehe ein Anspruch auf umfassende Einsicht in seine Krankenakte zu. Das Recht auf Selbstbestimmung und die personale Würde sowie das Recht auf Achtung der Privatsphäre nach Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention gebieten, das jedem Patienten gegenüber seinem Arzt und Krankenhaus grundsätzlich ein Anspruch auf Einsicht die ihn betreffenden Krankenunterlagen einzuräumen ist.

Dem Informationsinteresse des Patienten komme erhebliches Gewicht zu. Dem grundrechtlichen Informationsinteresse des Patienten komme im Strafvollzug besonderes Gewicht zu, so das Bundesverfassungsgericht. Denn das Selbstbestimmungsrecht des Strafgefangenen sei in stärkerem Maße gefährdet als bei privatrechtlichen Behandlungsverhältnissen. Ein Strafgefangener könne seinen Arzt nicht frei wählen und sich nicht aus dem Behandlungsverhältnis zurückziehen. Zudem zeichne sich der Strafvollzug durch ein besonders hohes Machtgefälle zwischen den Beteiligten aus.

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