Bemerkenswerte Erkenntnisse in einer Bertelsmann-Studie „für ein Kommunikationskonzept zum ePA-Opt-out-Verfahren“

Der Bertesmann-Konzern ist – nicht nur mit der Konzern-Tochter Arvato Systems – dick drin im Geschäft rund um die Telematik-Infrastruktur im Gesundheitswesen. Und verdient nicht schlecht daran. Und mit der Bertelsmann-Stiftung nimmt der Konzern massiv Einfluß auf die Politik und ihre Akteur*innen, aber auch auf die Medien und die Meinungsbildung der Menschen in Deutschland.

Nachdem durch den Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP für Befürworter*innen und Kritiker*innen der Telematikinfrastruktur klar war, dass die neue Koalition mittels „opt-out“ die elektronische Patientenakte (ePA) faktisch zur Zwangs-ePA machen will, vergab die Bertelsmann-Stiftung einen Auftrag für eine Studie zum Thema „Impulse für ein Kommunikationskonzept zum ePA-Opt-out-Verfahren“. Im Januar 2023 wurde diese Studie veröffentlicht. Sie enthält auch für Kritiker*innen der Telematikinfrastruktur lesenswerte Erkenntnisse.

Eingangs werden als Ziele der Studie u. a. benannt, „…fachlich fundierte, praxistaugliche Impulse für die Kommunikation des geplanten ePA-Opt-out-Verfahrens zu entwickeln…“ (Studie S. 8)

Im Unterschied zu vielen interessegeleiteten Veröffentlichungen von Krankenkassen (aktuell z. B. der Techniker Krankenkasse Hessen)  und Lobbyverbänden stellen die Verfasser*innen der Studie fest:

  • Erkenntnisse aus der Digital-Health-Marktforschungsstudie… sowie die Analyse der Bevölkerungsbefragung und des Ärztepanels weisen auf gravierende Verständnis- und Akzeptanzprobleme der elektronischen Patientenakte an sich sowie des derzeitig praktizierten Opt-in-Verfahrens hin. Das legt den Schluss nahe, dass einer ePA-Opt-out-Kommunikation zunächst zwingend eine Kommunikationskampagne vorgeschaltet werden muss, die die ePA selbst bekannt macht, erklärt, von ihrem Nutzen überzeugt, Hürden und Hemmnisse ausräumt…
  • Des Weiteren offenbart die wissenschaftliche Analyse Defizite der ePA selbst (inhalts- und funktionsschwach) sowie ihrer technischen / technologischen Umgebung. Ein zufriedenstellender Reifegrad der ePA-Ausführung sowie der Telematik- und IT-Infrastruktur wird im Rahmen dieses Impulspapiers als Voraussetzung für die dargelegten Kommunikationsempfehlungen betrachtet…“ (Studie S. 8/9)

Eine „bevölkerungsrepräsentative Face-to-Face-Haushaltsbefragung“ im August/September 2022, die u. a. von der Bertelsmann-Stiftung beauftragt wurde, führte lt. Studie zu zehn Kernerkenntnissen zur ePA und zum ePA-Opt-out-Verfahren“, genannt werden u. a.:

  • Ein Viertel der Versicherten hat keine Nutzenerwartungen an die ePA…
  • Nutzenvorstellungen zur ePA fokussieren sich vorrangig auf den Arzt und die ärztliche Behandlungsqualität. Persönliche Mehrwertservices für sich selbst sind sekundär.
  • Arzt ist wichtigster Vertrauenspartner, Zugangskanal und Schaltzentrale für die initiale ePA-Einrichtung.
  • Eigene Datenhoheit gewünscht: Versicherte wollen in Eigenregie über Datenfreigabe an Ärzte entscheiden…
  • Datenschutz und Datensicherheit sind große Misstrauensfaktoren und ePA-Akzeptanzkiller…
  • Opt-out ist extrem erklärungsbedürftig und kein Selbstläufer.“ (Studie S. 10/11)

U. a. folgende nüchterne Erkenntnisse und Bewertungen enthält die Studie:

  • 18 Prozent der Befragten lehnen eine ePA-Nutzung grundsätzlich ab … Besonders hoch ist die Ablehnung in den neuen Bundesländern…“ (Studie, S. 11)
  • Nach konkreten Nutzenvorteilen gefragt, verorten die Versicherten den Mehrwert der ePA nicht primär bei sich selbst, sondern bei einer anderen Instanz, dem Arzt.“ (Studie, S. 12)
  • Für 51 Prozent hat die eigene Datenhoheit Priorität. Sie möchten selbst
    entscheiden, wer welche Dokumente einsehen darf. Bedenkt man jedoch, dass 25 Prozent der Befragten keinerlei Nutzenvorstellungen zur ePA äußern, aber bezüglich der Dokumentenfreigabe eigenverantwortlich entscheiden wollen, lässt sich bereits hier auf einen großen Bedarf an verlässlicher Entscheidungsunterstützung für die Datenfreigabe schließen…“
    (Studie, S. 14)
  • Die Angst vor Datenmissbrauch, vor Manipulation und vor Hacker-Angriffen ist für fast 50 Prozent der Versicherten ein essenzieller ePA-Akzeptanzkiller… 32 Prozent sprechen ihrer Krankenkasse und 24 Prozent sprechen den Ärzten eine Datenschutzkompetenz ab. Sie befürchten, dass Ärzte bzw. Krankenkassen nicht vertrauenswürdig mit den bereitgestellten Daten umgehen.“ (Studie, S. 18)
  • Wer die ePA nicht haben möchte, kann der automatisierten Bereitstellung aktiv widersprechen… Von diesem Widerspruchsrecht würden 31 Prozent der Versicherten aktiven Gebrauch machen und die ePA nicht nutzen. Weitere 20 Prozent sind unentschlossen…“ (Studie, S. 19)

Die Quintessenz aus der Studie:

Der Kampf um die Köpfe

in Sachen opt-out-ePA ist noch nicht entschieden; es lohnt jede Anstrengung, diesen massiven Angriff auf das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung abzuwehren.

Ein Gedanke zu „Bemerkenswerte Erkenntnisse in einer Bertelsmann-Studie „für ein Kommunikationskonzept zum ePA-Opt-out-Verfahren““

  1. Es steht zu befürchten, dass opt-out zukünftig in allen möglichen Lebensbereichen Einzug erhält und dann letztlich keiner mehr eine Übersicht hat wo man überall widersprechen kann/sollte. Wenn das sogar im Gesundheitswesen mit seinen hohen Anforderungen möglich ist, dann ist die höchste Hürde dafür bereits überwunden.

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