In der Diskussion um die Organspende hat sich eine fraktionsübergreifende Gruppe von Bundestagsabgeordneten auf Eckpunkte für eine Entscheidungsregelung verständigt. Die Gruppe um Annalena Baerbock (Grüne) und Stephan Pilsinger (CSU) stellt sich damit gegen den Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der eine sogenannte Widerspruchlösung einführen will und dabei von dem SPD-Bundestagsabgeordneten Karl Lauterbach unterstützt wird. Bis Ende Januar 2019 soll lt. Bericht von Zeit Online vom 18.12.2018 ein fraktionsübergreifender Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht werden, der eine andere Regelung als die von Spahn und Lauterbach anstrebt. Deren Konzept: Ein“Systemwechsel” von opt-in (ich entscheide mich bewusst, Organspender*in zu werden) zu opt-out (ich muss mich einem – ggf. auch bürokratisch kompizierten – Verfahren unterziehen, um nicht Organspender*in zu werden). Dies stellt einen Eingriff in das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Grundgesetz) und stellt daher zugleich einen Angriff auf die Würde des Menschen (Art. 1 Grundgesetz) dar. Dies auch und gerade im Hinblick auf die Erfahrungen aus der deutschen Geschichte (Stichwort: “lebensunwertes Leben“, Euthanasie, Mengele und andere KZ-Ärzte…).
Dankenswert offen hat der CSU-MdB Stephan Pilsinger dieses opt-out-Konzept bereits in der Bundestagsdebatte vom 14.09.2018 zum Etat des Bundesgesundheitsministeriums kritisiert. Auf seiner Homepage fasst Pilsinger seine Kritik wie folgt zusammen: „Die Forderungen nach einer ‚Widerspruchslösung’… teile ich nicht. Ich schlage stattdessen den Weg der ‚verbindlichen Entscheidungslösung‘ vor. Nach diesem System sollen alle Bürgerinnen und Bürger zu einer einheitlichen Gelegenheit, z. B. bei der Ausstellung eines neuen Personalausweises oder der Gesundheitskarte befragt werden, ob sie Organspender sein möchten… Mit der verpflichtenden Entscheidungslösung wird das Selbstbestimmungsrecht jedes einzelnen und die Freiheit des Menschen gewahrt. Und auch die Integrität des Körpers wird geachtet. Um auch das ‚Recht auf Nichtentscheidung‚ zu wahren, ist es wichtig, eine dritte Auswahlmöglichkeit zu bieten, nämlich: ‚ich möchte mich noch nicht entscheiden‘. Mit der verpflichtenden Entscheidungslösung werden auch die Angehörigen des potentiellen Organspenders entlastet. Im Rahmen der ‚doppelten Widerspruchslösung‘ müssen die Angehörigen in einer emotionalen Ausnahmesituation eine Entscheidung für ihre Angehörigen treffen. Dies ist emotional so nicht zuzumuten…“
Annalena Baerbock (MdB / Grüne) hat in der Bundestagsdebatte am 28.11.2018 u. a. erklärt: „Ich habe eine große Sorge in Bezug auf die Widerspruchslösung, und zwar, dass die Spendebereitschaft der 84 Prozent dadurch zerstört wird, dass man Menschen jetzt zwingt, aktiv Nein zu sagen. Es ist ja nicht so, dass alle Nein sagen können. Manche Menschen sind dazu nicht in der Lage. Das ist nicht die breite Masse unserer Bevölkerung; aber es gibt Menschen, die eben dazu nicht in der Lage sind. Außerdem haben wir in allen anderen Bereichen, zum Beispiel bei der Datenschutz-Grundverordnung, als Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler dieses Landes durchgesetzt, dass man aktiv zustimmen und nicht widersprechen muss. Das bei so einer tiefethischen Frage anders zu machen, halte ich – das gilt auch für viele andere, die das hier schon angesprochen haben – für falsch… es muss eine verbindliche Abfrage geben. Damit wir alle Menschen in unserem Land erreichen, sollte diese Abfrage stattfinden, wenn diese einen Personalausweis beantragen. Man könnte das auch beim Arzt machen. Aber viele Menschen gehen gar nicht zum Arzt. Es gibt Hunderttausende, die gar nicht krankenversichert sind. – Ich komme gleich zum Schluss, Herr Präsident. – Aus unserer Sicht muss das verbindlich sein. Deswegen wollen wir das mit der Personalausweisbeantragung verbinden. Wenn man seinen Personalausweis beantragt, kriegt man alle Informationen und hat dann Zeit. Wenn man den Ausweis abholt, muss man sich entscheiden, und zwar geheim; elektronisch ist das alles möglich. Dann kann man auch sagen, man möchte nicht; das ist der große Unterschied zum Widerspruch. Man kann auch sagen: Ich kann mich heute nicht entscheiden. Ich komme noch einmal wieder.“
Auch Katja Kipping (MdB / Linke) hat in der Bundestagsdebatte am 28.11.2018 zum Thema Organspende Stellung genommen. Ein Auszug: „Es geht dabei auch um grundlegende ethische Fragen: Wann endet für uns Leben? Wo enden staatliche oder auch öffentliche Zugriffsrechte? … Ich selbst bin Inhaberin eines Organspendeausweises und werbe ausdrücklich dafür… Jens Spahn hat nun die Widerspruchslösung vorgeschlagen. Auch wenn ich für mich eine klare Entscheidung für die Organspende getroffen habe, so habe ich doch starke Bedenken gegen diese Lösung. Diese Bedenken haben vor allem mit folgender Frage zu tun: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Besteht die Gefahr, dass irgendwann mal gilt, dass sterbende Menschen automatisch als Organersatzteillager gesehen werden? Besteht die Gefahr, dass der berechtigte Wunsch, die Zahl der verfügbaren Organe zu erhöhen dazu führt, dass der Todeszeitpunkt so definiert wird, dass er die höchst mögliche Ausbeute verspricht? … Die medizin-ethischen Diskussionen über die NS-Medizinverbrechen in Deutschland haben dazu geführt, dass bei ärztlichen Behandlungen das Prinzip der informierten Einwilligung als Voraussetzung für jeden Eingriff gilt. Dieses Prinzip der informierten Einwilligung ist durchbrochen, wenn alle, die nicht widersprechen, als Organspender gelten… In Abwägung werbe ich für das Modell der verbindlichen wiederkehrenden Abfrage… Wir schlagen vor, dass jedes Mal, wenn ein Reisepass oder Personalausweis beantragt wird, die Antragstellenden abgefragt werden, ob sie bereit wären, Organe zu spenden oder nicht.“
Nach Informationen von Zeit Online werden die hier referierten Positionen auch geteilt von den ehemaligen Gesundheitsminister*innen Hermann Gröhe (CDU) und Ulla Schmidt (SPD) und den gesundheitspolitischen Expertinnen Karin Maag (MdB / CDU) und Hilde Mattheis (MdB / SPD). Bleibt zu hoffen, dass sich diese Positionen gegenüber Spahn und Lauterbach durchsetzen werden.