Das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Anstalt des öffentlichen Rechts der Universitäten Kiel und Lübeck, hat die Entscheidung getroffen, gemeinsam mit der vitabook GmbH allen Patient*innen des UKSH ab sofort eine kostenfreie (?) elektronische Gesundheitsakte gem. § 68 SGB V anzubieten. In einer entsprechenden Veröffentlichung auf der Internetseite des UKSH wird sie wie folgt beworben:
„Wir, das UKSH, möchten Sie als Patient in Ihrer Selbstbestimmung stärken, indem wir Ihnen – wenn Sie dies wünschen – die im Rahmen Ihrer Behandlung im UKSH erhobenen Gesundheitsdaten bei Ihrer Entlassung in elektronischer Form zur Verfügung stellen. Um dies zu erreichen arbeiten wir u.a. mit der vitabook GmbH zusammen. Die vitabook GmbH (mit Sitz in 21266 Jesteburg, Hauptstr. 41) ist ein in Deutschland ansässiger Anbieter für die patientenzentrierte Speicherung von Gesundheitsdaten. Hierfür bietet vitabook seinen Kunden eine digitale Plattform, auf der die Kunden ein persönliches Online-Gesundheitskonto (Elektronische Gesundheitsakte = EGA) einrichten und führen können, das sich mit ihrer Gesundheits- oder Patientenkarte verknüpfen lässt… Die vitabook GmbH speichert Ihre Daten an einem besonders gesicherten Ort, vergleichbar mit dem Girokonto bei Ihrer Bank, nämlich in der Microsoft Cloud Deutschland. Die Deutsche Telekom T-Systems fungiert als Datentreuhänder unter deutschem Recht. Das UKSH ist von diesem Konzept des Online-Gesundheitskontos überzeugt und ist daher eine Kooperation mit der vitabook GmbH zur digitalen Informationsvermittlung eingegangen… Die vitabook Gesundheitsakte ist für Sie kostenfrei…“
In den häufigen Fragen und Antworten – FAQ werden alle möglichen Fragen mehr oder weniger gut und ausführlich beantwortet. Was als Fragestellung nicht auftaucht – und daher auch nicht beantwortet wird – sind die Fragen
Und wer bezahlt das alles?
- Hat das UKSH freie Mittel (ggf. von wem erhalten), um die Kosten für Errichtung, Betreuung und Pflege der notwendigen Infrastruktur für die unternehmenseigene Gesundheitsakte zu finanzieren?
- Tritt hier die vitabook GmbH mit ihrem Werbeetat in Vorlage, um ihr eigenes Produkt, die vitabook Gesundheits-Cloud Deutschland, mit aktiver Hilfe einer öffentlichen Einrichtung zu bewerben?
- Oder zahlen die Patienten der UKSH, die sich auf dieses Angebot einlassen, mit ihren Gesundheits- und Behandlungsdaten?
Lretzteres zu vermuten scheint nicht ganz unwahrscheinlich zu sein. Wird doch in den häufigen Fragen und Antworten – FAQ die Frage „Bleiben die Daten nach der Kündigung gespeichert?“ wie folgt beantwortet: „Das Konto wird zum Kündigungstermin geschlossen. Die Daten können, wie oben beschrieben, vorher vom Kontoinhaber gelöscht werden.“ Was zur Anschlussfrage führt: Was passiert mit den Daten, die der Kontoinhaber – aus welchen Gründen auch immer – vor Ende der Vertragsbeziehungen nicht löscht?
Diese und andere Fragen sind es wert, auf der Basis des Bundesdatenschutzgesetzes bzw. der Landesdatenschutzgesetzes Schleswig-Holstein sowie des Informationszugangsgesetzes für das Land Schleswig-Holstein (IZG-SH) Anfragen an die zuständigen Stellen zu stellen.
Die Niedersächsische Datenschutzbeauftragte hat auf eine Anfrage eines Versicherten Anfang 2018 mitgeteilt:
„Meine Behörde ist die zuständige Aufsichtsbehörde für die Firma ‚vitabook GmbH‘. Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass es mir bislang noch nicht möglich gewesen ist, die o.g. Firma datenschutzrechtlich zu prüfen… Aus der Erfahrung kann ich Ihnen allgemein mitteilen, dass leider nicht immer alles, was in den AGB oder in einer Datenschutzerklärung geschrieben steht, auch tatsächlich durch die eingesetzte Technik umgesetzt wird. Hierbei muss es sich nicht einmal um absichtliche Falschaussagen handeln, vieles ist derart undurchsichtig verstrickt, dass es selbst der verantwortlichen Stelle nicht auffällt, wenn etwas falsch dargestellt wird. Dies ist auch der Grund, weshalb ich nur zu dem Text der Datenschutzerklärung keine Aussage abgebe ohne die dahinter befindliche Technik geprüft zu haben. Zu der von vitabook angegebenen Speicherung der Daten in der Microsoft Cloud kann ich Ihnen mitteilen, dass dieses Produkt derzeit in verschiedenen bundesweiten Arbeitskreisen der Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder geprüft wird. Diese Prüfung wird jedoch noch einige Zeit in Anspruch nehmen, da die Kooperation mit US-Unternehmen nie ganz unkompliziert ist. Nach dem derzeitigen Kenntnisstand wird der Einsatz der Microsoft Cloud im Schul-Bereich kritisch gesehen, in vielen Ländern ist der Einsatz der Microsoft Cloud im Krankenhausbereich aufgrund spezialgesetzlicher Regelungen in Krankenhausdatenschutzgesetzen nicht zulässig. Für die Firma vitabook bestehen zwar keine der o.g. spezialgesetzlichen Einschränkungen, die allgemeinen Datenschutzgesetze sind jedoch zu beachten. Ob diese eingehalten werden, kann jedoch erst nach Abschluss der Prüfung verbindlich festgestellt werden. Zum aktuellen Zeitpunkt kann ich daher weder vor dem Produkt der Firma vitabook warnen, noch eine datenschutzrechtliche Unbedenklichkeit bescheinigen. Die von Ihnen beanstandeten „Unschärfen“ in der Datenschutzerklärung spiegeln somit auch den Kenntnisstand der Aufsichtsbehörden wider. Eine Person, die viel Wert auf den Datenschutz legt, wird von derartigen Produkten vermutlich Abstand nehmen, jemand der sein gesamtes Leben auf Facebook teilt, wird mit den unklaren Datenschutzregelungen vermutlich keine großen Probleme haben…“
(Die Antwort der Niedersächsischen Datenschutzbeauftragten ist hier dokumentiert.)
Guten Tag Herr Dr. Bernhard Scheffold,
ich beziehe mich auf die beiden von Ihnen verfassten Blog-Einträge unter:
https://patientenrechte-datenschutz.de/2019/05/05/das-universitaetsklinikum-schleswig-holstein-und-die-elektronische-gesundheitsakte-vitabook-eine-un-gute-kooperation/
https://ddrm.de/das-universitaetsklinikum-schleswig-holstein-und-die-elektronische-gesundheitsakte-vitabook-eine-un-gute-kooperation/
Sie stellen hier in polemischer Weise Fragen, die wir Ihnen jederzeit – auch im Vorfeld Ihrer Veröffentlichung – schnell und unkompliziert hätten beantworten können. Sie teilen hier mächtig aus, ohne sich vorher die Mühe zu machen, korrekt zu recherchieren, oder mit uns Kontakt aufzunehmen. Das ist kein guter, journalistischer Stil.
Ein sehr zentrales Patientenrecht ist gem. §630g BGB der Herausgabeanspruch von Gesundheitsdaten, auch in digitaler Form. Genau dieses Recht setzt das UKSH hier mustergültig um. Wäre es da für Sie gerade als Patientenrechte-Datenschutz-Vertreter nicht eher ein Freudenfest, dass dies endlich freiwillig und so umfassend geschieht?
Ich beantworte Ihre aufgeworfenen Fragen nun so, als hätten Sie uns gefragt.
– Das UKSH betreibt hier keine unternehmenseigene Gesundheitsakte. Vielmehr ermöglicht das UKSH jedem Patienten, der dies wünscht, die Anlage eines Online-Gesundheitskontos, das komplett nicht vom UKSH betrieben wird, sondern von vitabook. Vitabook versteht sich als Service-Provider des Bürgers, um für ihn und nur für ihn, seine Gesundheitsdaten online speichern zu können.
– Der ganze Aufwand des UKSH besteht somit darin, bei der Aufnahme den Wunsch des Patienten zu dokumentieren und dann zur Entlassung sämtliche Gesundheitsdokumente in die alleinige Hoheit des Patienten zu übergeben. Die Frage nach freien Mitteln des UKSH läuft damit komplett ins Leere.
– Vitabook ist hier auch nicht mit einem Werbeetat in Vorlage getreten. Vielmehr bieten wir das Online-Gesundheitskonto jedem Bürger in Deutschland kostenfrei an.
– Die Patienten bezahlen auch nicht mit ihren Gesundheits- und Behandlungsdaten. Vitabook finanziert sich vollständig anders, als Sie vermuten. Vitabook bietet Patienten schon seit vielen Jahren die Möglichkeit an, Rezepte und Medikamente online zu bestellen. Weitere Infos dazu finden Sie unter http://www.rezept-bonus.de. Chronisch Erkrankte können sich so das Leben erleichtern und Rezepte bei jedem beliebigen Arzt und das Medikament bei jeder beliebigen Apotheke zu bestellen. Kommt auf diese Weise eine Transaktion zustande, erhält vitabook eine umsatzunabhängige Packungstransaktionsvergütung von der vom Patienten ausgewählten Apotheke. So einfach ist das Finanzierungsmodell. Die Gesundheitsakte ist ein vollständig kostenfreies Angebot von vitabook. Wenn die Akte Patienten gefällt, können sie unsere Mehrwerte nutzen, wie eben die Rezept- und Medikamentenbestellung.
– Die vom Patienten bzw. der Klinik in dem Online-Gesundheitskonto hinterlegten Daten sind in der vollständigen Hoheit des Patienten und können jederzeit vom Patienten wieder gelöscht werden. Es ist für Sie vielleicht schwer vorstellbar – aber die Daten der Patienten haben für vitabook keinerlei ökonomische Bedeutung und werden selbstverständlich auch nicht weitergegeben.
– Ausführliche Informationen finden Sie unter http://www.vitabook.de/uksh
Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn Sie die beiden Einträge nunmehr korrigieren würden, nachdem Sie erfahren haben, dass Sie damit komplett daneben liegen. Auch einen Ihrer früheren Einträge sollten Sie möglicherweise noch einmal überdenken. Wir treten für die Rechte von Patienten ein und haben endlich einmal die dafür erforderliche Infrastruktur geschaffen – haben Sie unsere Lösung schon mal eine Sekunde aus dieser gedanklichen Richtung betrachtet? Welchen besseren Vorschlag hätten Sie denn für Patienten, um im Hier und Heute die Hoheit über ihre Daten in digitaler Form zu erhalten und diese Daten dennoch mit Arzt, Klinik, Apotheke und Pflege teilen zu können, um z.B. vor schwerwiegenden Arzneimittelunverträglichkeiten geschützt zu werden?
Viele Grüße und Gesundheit!
Markus Bönig,
Geschäftsführer
vitabook GmbH
Hallo Leute,
es ist noch schlimmer, als Ihr das in Eurem Beitrag schreibt. Der UKSH-Vorstandsvorsitzende Jens Scholz sagt in einem Interview mit einer Lobby-Homepage der IT-Gesundheitsindustrie (https://e-health-com.de/details-news/kassenakten-koennen-nicht-die-alleinige-loesung-sein/) u. a.:
„Ich bin überzeugt, dass durch unseren Vorstoß Bewegung in diese Debatte kommt. Und es stehen auch schon einige Nachahmer in den Startlöchern. Wir stellen uns Folgendes vor: Wenn ein Patient zu uns kommt, lesen wir die Gesundheitskarte ein und sehen dann, ob eine Krankenkassenakte existiert oder nicht. Im ersten Fall gehen die Dokumente in die Krankenkassenakte, im zweiten Fall wird unsererseits eine Akte eröffnet. Diese Abfrage gibt es im Moment noch nicht, aber hinter den Kulissen wird da schon intensiv diskutiert. So etwas muss kommen, und es muss bald kommen. Das ist den Krankenkassen auch bewusst. Was wir sicher nicht machen werden ist, jeden Patienten aktiv fragen, ob er irgendeine Akte hat.“
Und auf die Frage „Sie sagen, dass die Gesundheitsakte lebenslang zur Verfügung gestellt wird. Wird das für das UKSH nicht irgendwann teuer?“ antwortet er:
„Wir haben in die Erprobung investiert und die Schnittstelle zu unseren Informationssystemen mit entwickelt, aber darüber hinaus bezahlen wir für die Gesundheitsakten nichts. Wie hier auf Dauer die Refinanzierung aussieht, ist Sache von Vitabook und Microsoft. Klar wird es Geschäftsmodelle geben müssen. Die werden sich entwickeln.“
Dass Vitabook und Microsoft altruistisch handeln und nur das Wohl der Patienten der Uniklinik Kiel/Lübeck im Auge haben wird wohl selbst ein Klippschüler nicht mehr glauben!