In der vergangenen Woche stach ein junger Mann aus Afghanistan in Kandel (Rheinland-Pfalz) auf ein 15 Jahre altes Mädchen ein, das danach an seinen Verletzungen gestorben ist. Diese Tat hat eine Debatte über die Altersfeststellung bei minderjährigen AsylbewerberInnen ausgelöst. So fordert z. B. der bayrische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) eine “strikte Regelung für eine medizinische Altersüberprüfung von allen ankommenden Flüchtlingen, die nicht klar als Kinder zu erkennen sind”.
Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, hat dazu einen entgegengesetzte Position entwickelt: “Die Untersuchungen sind aufwendig, teuer und mit großen Unsicherheiten belastet”, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Dabei könnten weder medizinische noch psychologische Verfahren den Geburtstag juristisch sicher bestimmen. Montgomery lehnt einen obligatorischen Alterstest grundsätzlich ab.
“Wenn man das bei jedem Flüchtling täte, wäre das ein Eingriff in das Menschenwohl”, sagte er: “Röntgen ohne medizinische Indikation ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit.” Nach den Regeln des Strahlenschutzes sei es nur im Rahmen eines Strafprozesses zulässig, das Alter medizinisch zu überprüfen. In Kandel könnte der der Straftat verdächtige afghanische Asylbewerber zu Recht untersucht werden – schließlich stehe er unter Verdacht.
Im September 2016 hatte die Zentrale Ethikkommission der Bundesärztekammer angezweifelt, dass ärztliche Altersfeststellungen wirklich zuverlässig und verfassungsgemäß sind. Dennoch schicken z. B. die Bundesländer Hamburg und Berlin seit einigen Jahren immer wieder AsylbewerberInnen zu den jeweiligen Universitätskliniken, um ihr Alter untersuchen zu lassen. Die MedizinerInnen dort röntgen nicht nur die Hände der geflüchteten Männer und Frauen, sondern auch ihre Brust, vermessen Gewicht, Größe, Zähne, Achselhöhlen und Geschlechtsteile.
Die kinder- und jugendpsychiatrischen Fachgesellschaften und Fachverbände haben bereits am 02.11.2015 in einer gemeinsamen Stellungnahme insbesondere die Genitaluntersuchungen kritisiert. Die Methode sei “stark umstritten”, deshalb sei das Überschreiten von Schamgrenzen “medizinisch nicht zu rechtfertigen”. Die Psychiater erklären, dass der menschliche Körper “durch das Erleben von sexuellem Missbrauch oder durch übermäßige Belastungen im Rahmen der Flucht” schneller altere. Dies würde eine biologische Altersfeststellung unmöglich machen.
Einen fachlich fundierten und lesenswerten Kommentar, der sich auch kritisch mit den populistischen Positionen von Boris Palmer (grüner OB in Tübingen) in dieser Frage auseinander setzt, findet Ihr hier:
https://gruenegesundheitspolitik.wordpress.com/2018/01/07/lieber-boris-lass-uns-uber-rontgen-reden/
“… diese Gesellschaft steht, geprägt von der Geschichte ihrer Eltern und Großeltern, medizinischen Zwangsmaßnahmen sehr kritisch gegenüber. Das ist mehr als berechtigt…”