Bislang in der demokratischen Öffentlichkeit kaum beachtet, plant die Bundesregierung, bei den Sozialversicherungswahlen 2023 ein Online-Wahlverfahren bei einigen Krankenkassen als Versuchsmodelll einzuführen. Das geht aus dem „Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetz„ hervor, der am 13.12.2019 von der Bundesregierung beschlossen wurde.Die DAK und andere Krankenkassen hatten im Vorfeld massiv Druck ausgeübt, um einen solchen Modellversuch möglich zu machen.
Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung sollen im SGB V folgende Paragrafen neu eingeführt werden:
- § 194a Modellprojekt zur Durchführung von Online-Wahlen bei den Krankenkassen,
- § 194b Durchführung der Stimmabgabe per Online-Wahl,
- § 194c Verordnungsermächtigung,
- § 194d Evaluierung (Siehe dazu die Seiten 23 – 26 des Gesetzentwurfs).
§ 194a SGB V soll lauten: „(1) Bei den Sozialversicherungswahlen im Jahr 2023 können im Rahmen eines Modellprojektes abweichend von § 54 Absatz 1 des Vierten Buches Wahlen bei den in § 35a Absatz 1 Satz 1 des Vierten Buches genannten Krankenkassen auch in einem elektronischen Wahlverfahren über das Internet (Online-Wahl) durchgeführt werden. Eine Stimmabgabe per Online-Wahl ist nur möglich, wenn die jeweilige Krankenkasse in ihrer Satzung vorsieht, dass alternativ zu der brieflichen Stimmabgabe auch eine Stimmabgabe per Online-Wahl vorgenommen werden kann. Eine entsprechende Satzungsregelung muss spätestens bis zum 30. September 2020 in Kraft treten. (2) …“
In der Begründung dieser Neuregelung wird ausgeführt:
- „Im Rahmen eines Modellprojektes bei den Sozialversicherungswahlen im Jahr 2023 soll den Wahlberechtigten der in § 35a Absatz 1 Satz 1 des Vierten Buches (SGB IV) genannten Krankenkassen neben der herkömmlichen Stimmabgabe per Briefwahl fakultativ die Möglichkeit eröffnet werden, über das Internet (Online-Wahl) zu wählen. Die Ermöglichung einer Online-Wahl ist ein wichtiges Signal für die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Eine Online-Wahl bietet die Chance, das Interesse an der sozialen Selbstverwaltung zu stärken, neue Wählergruppen zu erschließen und damit die Wahlbeteiligung insgesamt zu steigern. Die Ermöglichung der Online-Wahl im Rahmen eines Modellprojektes dient dazu, Erfahrungen zu sammeln, ob dauerhaft eine Online-Wahl durchgeführt werden kann.“ (Seite 105 des Gesetzentwurfs)
- „Die Einführung der fakultativen Stimmabgabe per Online-Wahl für die Sozialversicherungswahlen der Krankenkassen ist von großer politischer und auch technischer Bedeutung. Sie kann dazu beitragen, die teilweise noch vorsichtige Haltung der Öffentlichkeit und Politik zu Online-Wahlen zu überdenken und eine breitere Akzeptanz herzustellen…“ (Seite 108 des Gesetzentwurfs)
Was verwundert ist die Tatsache, dass in diesem Gesetzentwurf und seiner Begründung ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 03.03.2009 (Aktenzeichen: 2 BvC 3/07 und 2 BvC 4/07 ) keinerlei Erwähnung findet. Das BVerfG musste sich damals mit zwei Wahlprüfungsbeschwerden zur Zulässigkeit des Einsatzes rechnergesteuerter Wahlgeräte („Wahlcomputer“) bei der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag am 18.09.2005 beschäftigen. Bei dieser Wahl gaben etwa zwei Mio. Wahlberechtigte in Brandenburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt ihre Stimmen über rechnergesteuerte Wahlgeräte ab.
In den Leitsätzen dieses Urteils stellte das BVerfG fest:
- Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl aus Art. 38 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG gebietet, dass alle wesentlichen Schritte der Wahl öffentlicher Überprüfbarkeit unterliegen, soweit nicht andere verfassungsrechtliche Belange eine Ausnahme rechtfertigen.
- Beim Einsatz elektronischer Wahlgeräte müssen die wesentlichen Schritte der Wahlhandlung und der Ergebnisermittlung vom Bürger zuverlässig und ohne besondere Sachkenntnis überprüft werden können.
Es entschied daher, dass die damalige Bundeswahlgeräteverordnung mit dem Grundgesetz unvereinbar sei, als sie keine dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl entsprechende Kontrolle sicherstellt. Die Verwendung der damals eingesetzten elektronischen Wahlgeräte war nach Feststellung des BVerfG mit den genannten Artikeln des Grundgesetzes nicht vereinbar.
In seiner Urteilsbegründung bezog sich das Gericht auch auf Untersuchungen des Chaos Computer Club, der den Nachweis führte, dass die damals eingesetzten „Wahlcomputer“ manipuliert werden konnten (Urteilsbegründung, Randnummern 84 – 86).
In der Schweiz hat der Nationalrat am 09.12.2019 entschieden, den Versuchsbetrieb von E-Voting auf Grund von Protesten aus der Bevölkerung zu beenden.