Leukämie, Knochenmarksspenden, Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung

Die Bürgerrechtsgruppe freiheitsfoo aus Hannover hat sich in einer umfangreichen Recherche mit der Tätigkeit der DKMS gGmbH (DKMS – Deutsche Knochenmarkspenderdatei) unter den Blickwinkeln Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung auseinander gesetzt.

In dem lesenswerten Beitrag wird festgestellt: Die DKMS… hat sich zum Ziel gesetzt, möglichst viele Menschen bezüglich ihres jeweils individuellen Knochenmark-Typs zu erfassen und diese Daten zu speichern, um mit Hilfe dieser Datenbank von Blutkrebs betroffenen Menschen zu helfen, indem ein möglichst passender Spender von Knochenmark ermittelt werden kann. Soweit ein unumstritten gutes Ziel… Doch wie steht es mit dem Schutz dieser umfangreichen sensiblen persönlichen Daten… Wie geht die DKMS mit diesen Daten um, an wen werden diese Daten weitergereicht… Wir haben bei der DKMS nachgefragt und recherchiert und kommen zu einem Ergebnis, das auf uns eher beunruhigend wirkt…“

Im Beitrag von freiheitsfoo werden u. a. folgende Themen untersucht und bewertet:

  • Erfasste Daten
  • Datenspeicherung und -verarbeitung
  • Reguläre Weitergabe von Daten an Dritte
  • Datenschutz bei der DKMS

Dabei werden datenschutzrechtlich fragwürdige Praktiken der DKMS deutlich. Im Einzelnen:

  • Nach eigenen Angaben führt die DKMS „hochauflösende Typisierungen“ durch. Erfasst werden dabei eine Vielzahl körpereigener Merkmale sowie personenbezogene Daten der (potentiellen) Knochenmarkspender. Neben Adress- und Kontaktdaten sind dies auch Geburtsdatum, Körpergröße, Gewicht, „Abstammung“, „Laborergebnisse“ und „Diagnosen“. freiheitsfoo stellt dazu fest: Angaben zu Geburtsdatum, Körpergröße und Gewicht sowie Abfragen zu etwaigen Krankheiten oder Allergien werden im Rahmen einer Vorabfrage bei der Registrierung ermittelt. Es ist dem einfachen Benutzer nicht unbedingt klar, dass diese Angaben von der DKMS gespeichert und z.T. sogar an andere Stellen oder sogar in die USA übermittelt werden…“ Und weiter: Bei der Onlineregistrierung muss man zwangsweise den Datenschutzbestimmung inklusiver der darin enthaltenen Einverständniserklärung zustimmen (‚Datenschutzrechtliche Einwilligung): Die Einverständniserklärung muss man im Fall einer Typisierung zwangsweise anerkennen – Änderungen daran werden nicht zugelassen…“
  • DKMS arbeitet mit Cloud-Diensten, will aber keine genaueren Angaben darüber machen… Unserer Frage, ob die von DKMS genutzten Cloud-Dienste dem BSI-Anforderungskatalog Cloud Computing (C5) entsprechen, weicht DKMS aus und gibt keine Antwort darauf, was zur mutmaßlichen Annahme führt, dass den BSI-Anforderungen nicht Genüge getan wird…“
  • Die DKMS will weder auf Frage noch Nachfrage mitteilen, an wie viele andere Stellen (Kliniken, Vereine, Organisationen, Ministerien) pseudonymisierte Datensätze der 7,4 Millionen Menschen weitergibt… Was aber aus den allgemeinen öffentlichen Quellen darüber zu erfahren ist: Daten gehen mindestens an zwei staatliche Typisierungs-Datenbanken, davon eine in Deutschland und die andere in den USA (!). Mindestens 16 deutsche Kliniken sind weitere Partner des Datenaustausches. Sehr sicher gehen die sämtliche (nicht-pseudonymisierten) Daten auch an die außerdeutschen Zweigstellen der DKMS in den USA, in Großbritannien, Spanien und Polen oder sind für diese abrufbar. Mutmaßlich gehen die Daten in mindestens 23 weitere Länder außerhalb Deutschlands… Warum das exakte, Tag-genaue Geburtsdatum angegeben werden muss, kann uns die DKMS nicht plausibel erklären. Angeblich sei das international vereinbart worden. Fest steht, dass die DKMS bei Ihrer Öffentlichkeitsarbeit nicht mitteilt, dass das genaue Geburtsdatum Teil desjenigen Datensatzes ist, der in die Welt hinaus verteilt wird…“
  • Die Einverständniserklärung, die jeder typisierte und in der DKMS-Datenbank registrierte potentielle Knochenmarkspender zwangsweise unterzeichnen/abnicken muss, wurde bislang noch nie von einer staatlichen Datenschutzbehörde überprüft. Dabei würde sich das eventuell ‚lohnen‘. Denn die DKMS-Einverständniserklärung enthält u.a. die folgenden Punkte, die aus unserer Sicht nicht zulässig sind: Eine pauschale, weil allgemeine und nahezu unbegrenzte Befugniserteilung zur Datenspeicherung und -verarbeitung aller personenbezogenen Daten (inklusive „Abstammung“ und Diagnosen)… Eine pauschale Weitergabebefugniserteilung aller personenbezogenen Daten an internationale DKMS-Organisationen… Eine allgemeine Einverständniserklärung zur Datenabfrage beim Einwohnermeldeamt: ‚Um die Spenderdatei immer auf dem aktuellen Stand zu halten, werde ich der DKMS eine Adressänderung mitteilen. Falls ich dies versäumen sollte bzw. der DKMS Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit vorliegen, erkläre ich mich mit einer Nachfrage beim zuständigen Einwohnermeldeamt einverstanden.‘…
  • Auf Nachfrage, wie denn der Datenschutz bei der DKMS USA (sämtlichen personenbezogene Daten, nicht pseudonymisiert) und beim US-amerikanischen Knochenmarkregister („pseudonmyisierte“ Daten) gewährleistet wird, antwortet DKMS nebulös: ‚Die DKMS folgt internen Datenschutzstandards, die auf dem deutschen und europäischen Recht basieren. Diese gelten auch für die DKMS-Organisation in den USA.‘ Weiter nachgefragt, was das denn für Datenschutzstandards seien, antwortet DKMS: ‚Die interne DKMS-Datenschutzrichtlinie, die auf europäischem Datenschutzrecht basiert, und dieses auch für DKMS USA festlegt.‘ Damit blendet DKMS die im US-Gesetz verankerten Zugriffsrechte durch US-amerikanische Polizeien und Geheimdienste aus…“

freiheitsfoo macht in seiner Recherche auch Angaben zum Umfang der Tätigkeit und zur Finanzkraft des Unternehmens:

  • War die DKMS zunächst nur in Deutschland engagiert, hat sie 2004 in den USA, 2009 in Polen, 2011 in Spanien und schließlich auch noch 2013 in Großbritannien eigene Landesorganisationen gegründet.“
  • Seit 2008 betreibt die DKMS zusätzlich noch eine eigene Nabelschnurblutbank mit etwa 8.800 Nabelschnurblut-Spenden (Stand/Quelle: Unternehmensbroschüre 2016).“
  • Im Juli 2016 waren nach DKMS-Angaben weltweit 6,4 Millionen Menschen typisiert/erfasst (davon 4,6 Millionen Menschen in Deutschland), derzeit (Stand Juni 2017) sind es bereits 7,4 Millionen Menschen. Die DKMS betreibt damit die weltweit größte Typisierungsdatenbank. Bis Februar 2016 sollen insgesamt ca. 54.000 Stammzellenspenden vermittelt worden sein (davon rund 48.000 in Deutschland), bis heute sind es nach DKMS-eigenen Angaben bereits sogar 63.306 Stammzellenspenden. 38% aller weltweit vermittelten Stammzellenspenden seien durch die DKMS organisiert worden. Falls es sich hierbei um ein wirtschaftlich attraktives Geschäftsfeld handeln sollte, könnte man die DKMS also als weltweiten Marktführer bezeichnen.“
  • Im Geschäftsjahr 2015 hat die DKMS bspw. Ausgaben von rund 100 Millionen Euro gehabt, denen etwa 117 Millionen Euro Einnahmen gegenüber standen. Alleine 90 Millionen Euro der Einnahmen kamen als Kostenerstattungen für Stammzellentnahmen und sonstige Kassenersatzleistungen zustande, nur rund 15,4 Millionen Euro der Einnahmen waren Geldspenden. Zum Ende des Geschäftsjahres 2015 hatte die DKMS ca. 96 Millionen Euro als Barkapitalreserve zurückgelegt.“
  • Nach eigenen Angaben beschäftigt die DKMS derzeit 200 Mitarbeiter an fünf Standorten in Deutschland sowie in den vier Auslandsorganisationen (USA, PL, ES, UK).“

In ihrem Fazit stellt die Bürgerrechtsgruppe freiheitsfoo fest:

Das Spenden von Knochenmark zur Bekämpfung von Blutkrebs kann eine gute Sache sein, ein Akt der menschlichen Solidarität. Knochenmarkspenden in heutiger Zeit scheint jedoch zu einem Wirtschaftsfaktor eines mehr und mehr durchkommerzialisierten ‚Gesundheitswirtschaftszweigs‘ geworden zu sein. Dass die Professionalität und gewinnorientierte Organisation und Verwaltung von Typisierungen und Knochenmarkspenden-Vermittlungen ein sehr hohes Maß erreicht hat, dafür steht die DKMS als Paradebeispiel… Zur Qualität des Schutzes personenbezogener Daten bei der DKMS darf man sich mittlere bis große Sorgen machen… So, wie uns die DKMS heute erscheint, würden wir von der freheitsfoo-Redaktion der DKMS unsere eigenen biometrischen Daten jedenfalls nicht anvertrauen. Der DKMS-Erfolg scheint uns dabei fatalerweise auf einer durch Ausübung moralischen Drucks in Gang gesetzte Selbstausbeutung von Ehrenamtlichen, Freiwilligen und den Erfassten selber zu beruhen, während die tatsächlichen Motive und wirtschaftlichen Interessen der DKMS für uns jedenfalls unklar bleiben.“

 

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