Worüber war zu entscheiden?
Nach vorheriger pandemiebedingter Kurzarbeit nahm ein Fahrdienst, der Fahrgäste mit Sammeltaxis im Hamburger Stadtgebiet befördert, seinen Betrieb wieder auf. Den Fahrer*innen wurde zur Auflage gemacht, dass sie sich zweimal pro Woche mit einem vom Arbeitgeber kostenfrei zur Verfügung gestellten Corona-Schnelltest bei sich zu Hause testen müssten, und zwar mit einem Test, der (nur) einen Abstrich im vorderen Nasenbereich erforderte. Der Test am ersten Arbeitstag nach der Corona-Pause war – so die Vorgabe des Unternehmens – aber im Betrieb durchzuführen. Diese Anweisungen waren in einem „Fahrer-Handbuch“ enthalten, das der Fahrdienst seinen Fahrern in jeweils aktualisierte Fassung zur Verfügung stellte. Ein knapp zwei Jahre beschäftigter und bis Ende Mai 2021 in Kurzarbeit Null befindlicher Fahrer weigerte sich am 01.06.2021 und an den beiden Folgetagen, vor Ort im Betrieb einen solchen Schnelltest durchzuführen, worauf der Arbeitgeber ihn jeweils für den einzelnen Arbeitstag nach Hause schickte. Während der Diskussionen vor Ort wiesen Vertreter des Arbeitgebers den Fahrer darauf hin, dass er zur Durchführung des Tests (aus Arbeitgebersicht) rechtlich verpflichtet sei. Der Fahrer hielt dagegen, er müsste einen solchen Test nicht durchführen. Daraufhin kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 08.06.2021 ordentlich zum 15.07.2021 und stellte den Fahrer bis dahin unwiderruflich von der Arbeit frei. Der Fahrer erhob Kündigungsschutzklage.
Wie entschied das Arbeitsgericht Hamburg?
Mit Urteil vom 24.11.2021 (Aktenzeichen: 27 Ca 20/21) , 27 Ca 20/21 stellte das Gericht fest:
- Die unberechtigte Verweigerung eines Corona-Schnelltests durch einen Arbeitnehmer berechtigt Arbeitgeber im Allgemeinen ohne vorherige Abmahnung nicht zum Ausspruch einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung.
- Arbeitgeber können Arbeitnehmer, die länger als sechs Monate in einem Betrieb mit mehr als zehn Arbeitnehmern beschäftigt sind, auch unter Beachtung der Kündigungsfrist (ordentlich) nur kündigen, wenn es dafür einen triftigen Grund im Sinne von § 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) gibt, d.h. wenn die Kündigung sozial gerechtfertigt ist.
- Für eine gemäß § 1 Abs.2 KSchG rechtmäßige verhaltensbedingte Kündigung ist, abgesehen von einem erheblichen Pflichtverstoß des Arbeitnehmers, die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips erforderlich. Gibt es weniger schwerwiegendes Mittel als eine Kündigung, um die durch den Pflichtverstoß hervorgerufene Störung des Arbeitsverhältnisses für die Zukunft zu beseitigen, kann der Arbeitgeber nicht kündigen, sondern muss das mildere Mittel anwenden.
- Als milderes Mittel kommt meistens eine Abmahnung des Arbeitnehmers in Betracht. Aber auch eine Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz, bei dem eine Wiederholung des Pflichtverstoßes ausgeschlossen ist, kann ein milderes Mittel sein.
In den Entscheidungsgründen hält das Arbeitsgericht zunächst fest, dass der Fahrer verpflichtet war, den streitigen Corona-Test durchzuführen. Der Arbeitgeber war aufgrund seines Weisungsrechts gemäß § 106 Gewerbeordnung (GewO) dazu berechtigt, seinen Fahrern einen solchen Test abzuverlangen. Daher war die Weigerung des Fahrers rechtswidrig. Denn der streitige Schnelltest war mit einem von dem Betroffenen selbst durchzuführenden Abstrich im vorderen Nasenbereich verbunden. Das war weder schmerzhaft noch auch nur besonders unangenehm, so das Gericht. Darüber hinaus beeinträchtigten die Tests zwar auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Fahrers, das durch Art.2 Abs.1 und Art.1 Abs.1 Grundgesetz (GG) geschützt ist, und sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung, doch waren diese Eingriffe in die Rechte des Klägers eher geringfügig. Diesen eher unerheblichen Rechtsbeeinträchtigungen aufseiten des Klägers standen aufseiten des Arbeitgebers sehr schwerwiegende rechtliche Interessen gegenüber, die für die Durchführung von Tests sprachen, nämlich der Schutz von Leben und Gesundheit anderer betriebsangehöriger Personen sowie der Fahrgäste. Obwohl der Fahrer demzufolge einen (erheblichen und außerdem beharrlichen) Pflichtverstoß begangen hatte, hätte das Unternehmen darauf nicht zugleich mit einer Kündigung reagieren dürfen, sondern hätte den Fahrer zunächst abmahnen müssen.
Ich bin selber Chauffeur bzw. Fahrdienst-Anbieter und kann das Urteil für den Fahrdienst-Betreiber / Fahrdienstanbieter nur bedingt nachvollziehen. Beispielsweise betr. folgender Aussage des Gerichts: Das [der Schnelltest] war weder schmerzhaft noch auch nur besonders unangenehm, so das Gericht. Wird dieser seriös gemacht, ist er doch ziemlich unangenehm und aus meiner Sicht zweimal wöhentlich nicht mehr zumutbar.