„Was hat sie, was ich nicht habe?“ – an diesen Uralt-Schlager von Katja Ebstein erinnert die Pressemitteilung vom 10.04.2017, mit der die gematik feiert, dass es 31 niedergelassenen ÄrztInnen aus Münster (Westfalen) und sieben KrankenhausärztInnen des Uniklinikums Münster gelungen ist, 2598 Datensätzen mit Notfalldaten zu erzeugen. Zwischen Mai und November 2016 hatten die ÄrztInnen diese Notfalldatensätze (NFD) auf Wunsch von PatientInnen angelegt. Die gematik teilt – stolz wie Oskar – mit: „Die elektronische Gesundheitskarte kam dabei noch nicht zum Einsatz. Stattdessen erhielten die Patienten einen Ausdruck ihrer NFD, der in einer Notfallsituation vorgelegt werden kann…“ „Das Notfalldaten-Management ist eine der wichtigsten Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte, die für den Arzt und den Versicherten einen echten Mehrwert darstellt. Wir arbeiten nun daran, dass das Notfalldaten-Management in die bundesweite Umsetzung gehen kann“, wird Dr. Thomas Kriedel, Vorsitzender der Gesellschafterversammlung der gematik, in der Pressemitteilung zitiert.
Und da kommt Kaja Epstein und ihr Schlager ins Spiel: Was hat dieses Projekt Neues gebracht, was der Europäische Notfall-Ausweis nicht hat und nicht kann?
Quelle: Bundesanzeiger Verlag
Der Europäische Notfallausweis – so der Bundesanzeiger Verlag – bietet „in einem möglichen Notfall dem Rettungsteam auf zwölf Seiten alle relevanten medizinischen Informationen auf einen Blick: Allergien, Blutgruppe, Schutzimpfungen, chronische Krankheiten und regelmäßige Dosen von einzunehmenden Medikamenten. Ferner beinhaltet er neben persönlichen Angaben wie Name, Geburtsdatum und Adresse des Inhabers mit Lichtbild auch Angaben zu Personen, die im Notfall zu benachrichtigen sind. Der Notfallausweis ist in neun Sprachen gefasst und damit ideal für den Urlaub…“ Und die Kosten für diesen Notfall-Ausweis sind überschaubar: Für ein Exemplar verlangt der Bundesanzeiger Verlag 3,30 €; 1.000 Exemplare sind bereits für 540,00 € käuflich zu erwerben.
Welchen Vorteil bringt also die Speicherung von Notfall-Daten auf der elektronischen Gesundheitskarte den Versicherten gegenüber dem Europäischen Notfall-Ausweis?
Diese Frage wurde von Bundesgesundheitsminister Gröhe und der gematik bislang nicht beantwortet.
Der Jubelarie der gematik soll die Bewertung eines praktischen Arztes gegenüber gestellt werden. Wilfried Deiß, Internist und Hausarzt mit einer Praxis in Siegen und mit früheren Berufserfahrungen als Krankenhausarzt und als Notarzt, hat in einer Stellungnahme vom Dezember 2014 wie folgt Stellung bezogen: „Für mich also Notarzt war schon vor Jahren erkennbar, dass das Prinzip der GK-Cloud nur selten wirklich hilfreich sein wird. Wenn ich als Notarzt zu einem leblosen oder nicht ansprechbaren Patienten komme, sind Vorinformationen zunächst zweitrangig. Wenn ein Herz-Kreislauf-Stillstand besteht, laufen die weiteren Maßnahmen nach einem festen Schema ab. Während einer Reanimation beauftrage ich nebenbei einen der Rettungssanitäter, in den Taschen des Patienten nach zu sehen, ob es irgendwelche schriftlichen Informationen über Diagnosen oder einen Medikamentenplan gibt, dann kann das schon einmal hilfreich sein… Demgegenüber nützt uns die Gesundheitskarte kaum etwas… Wenn wir nun im Notfall beim Patient eine Gesundheitskarte vorfinden, wissen wir noch nicht, ob der Patient zu denen gehört, die ihre Zustimmung erteilt haben. Wir könnten – wenn wir die Zeit dazu hätten – die Gesundheitskarte in unseren Notarzt-Laptop einführen und das prüfen. Wenn ja, dann dürften wir den ‚Notfalldatensatz‘ aus der Karte auslesen… Zudem auch der Inhalt des Notfalldatensatzes sehr fraglich ist. Was soll denn da rein, was soll der Hausarzt da reinschreiben? Nennung von Allergien und Unverträglichkeiten bringt im Notfall so gut wir gar nichts. Also müssten doch eigentlich alle wichtigen Vorerkrankungen mit rein, Herzinfarkte, Schlaganfälle, Diabetes, Krampfanfälle… Zudem: Vielleicht einer von 1000 Patienten, für die Notfalldatensätze geschrieben wurden, gerät bewusstlos an einen Notarzt, und bei nur jedem 5000ten bringt dem Notarzt diese Information etwas…“
Der Beitrag von Herrn Deiß ist hier im Wortlaut dokumentiert.
Zurück zur gematik. Eingangs ihrer Pressemitteilung stellt sie fest: „Die große Mehrheit der am Modellprojekt beteiligten Ärztinnen und Ärzte ist mit dem Anlageprozess von Notfalldatensätzen äußerst zufrieden. Auch bei Patientinnen und Patienten findet das Projekt Notfalldaten-Management-Sprint (NFDM-Sprint) Anklang…“
Liest sich wie: Nicht alle beteiligten ÄrztInnen und PatientInnen haben in die Jubelarie der gematik eingestimmt.