Die elektronische Patientenakte (ePA) soll kein Ladenhüter bleiben.

Im Januar 2023 veröffentlichte die Bertelsmann Stiftung ein Impulspapier zur Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) [1]. Auf Basis einer bevölkerungsrepräsentativen Befragung von insgesamt 1871 Personen im Alter ab 14 Jahren wurden Handlungsempfehlungen erstellt und der Politik sowie den beteiligten Berufs- und Interessengruppen an die Hand gegeben. Das Ziel dieser Befragung bestand darin, Argumente zu finden, wie man die ePA der Bevölkerung schmackhaft machen kann.

Die Befragung wurde von der hc-spirit – einem dreiköpfigen Marktforschungs-Betrieb in Berlin – ausgewertet. Auf Grundlage der erhobenen Daten wurden Strategien entwickelt, mit denen die Versicherten und die Ärzteschaft positiv auf die ePA eingestimmt werden sollen. Denn obwohl die ePA bereits seit 2021 zur Verfügung steht, hatten bis Ende 2022 erst 0,7 Prozent der Bevölkerung davon Gebrauch gemacht. Aktuell, mit Stand November 2023 sind es laut Gematik ca. 850 000 ePA-Nutzer. Das sind rund 1% der 84 Mio. Deutschen. Die Versicherten sind offensichtlich nicht vom Nutzen der ePA überzeugt. Aus Sicht des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) darf das nicht sein und muss geändert werden. Eine erste Maßnahme ist die voraussichtliche Umstellung des bisherigen Opt-In Verfahrens auf ein Opt-Out Verfahren. Opt-In heißt, dass der Versicherte aktiv die ePA nachfragt, wenn er von ihr Gebrauch machen möchte. Beim Opt-Out wird allen gesetzlich Versicherten automatisch eine ePA zugeteilt und mit deren Behandlungsdaten gefüllt, es sei denn der Versicherte lehnt die ePA ab. Dazu muss der Versicherte jedoch aktiv werden, was erfahrungsgemäß von den meisten nicht gemacht wird und worauf die ePA-Fans spekulieren. In Österreich z.B. gilt das Opt-Out Verfahren; dort haben 97% der Bevölkerung eine ePA .

Für die Verfechter der ePA ist der Datenschutz verständlicherweise eine großes Hemmnis. Sie wünschen sich daher eine angemessene Datennutzungskultur. Darunter verstehen sie eine abwägende Haltung zu dem perfektionistischen Anspruchsdenken, dass digitale Lösungen im Gesundheitsbereich ein garantiert nullprozentiges Fehler- und Ausfallrisiko und einen garantierten hundertprozentigen Datenschutz liefern könnten. Ein von Bertelsmann beauftragtes Gutachten [2] soll belegen, dass die ePA und der Datenschutz sich nicht ausschließen. Sie sind sich also der Gefahr bewusst, denen die durch die ePA angesammelten Daten ausgesetzt sind und möchten dennoch gerade für Gesundheitsdaten eine Aufweichung des Datenschutzes.

Damit die Akzeptanz der ePA steigt und um zu verhindern, dass die ePA großflächig per Opt-Out abgelehnt wird, soll die Umstellung auf das Opt-Out Verfahren medial und werbetechnisch begleitet werden. Als großes Manko haben die Werbestrategen den geringen Bekanntheitsgrad der ePA in der Bevölkerung ausgemacht. Das sei gerade bei den Bevölkerungsschichten mit geringer Bildung und geringem Einkommen der Fall.

42% der Geringverdienenden und 32% der Menschen mit niedrigerem Bildungsstand zweifeln, dass die ePA ihnen persönlich etwas bringt.

Darüber hinaus konnte ein Ost-West Gefälle bei der Beurteilung der ePA festgestellt werden. Mehr Ostdeutsche als Westdeutsche stehen der ePA skeptisch gegenüber. Fast 40 Prozent der ostdeutschen Befragten können sich keinen persönlichen Nutzen vorstellen.

18% aller Befragten lehnen eine ePA-Nutzung grundsätzlich ab.

Für die Befürworter der ePA ist damit die Aufgabenstellung vorgegeben und die Hauptzielgruppe erkannt.

Ärzte genießen bei den Versicherten großes Vertrauen. Wenn man es also schafft, die Ärzteschaft vom Nutzen der ePA zu überzeugen, werden die Versicherten ihnen folgen und die ePA als Verbesserung der Gesundheitsversorgung annehmen. Den Ärzten wird eine Multiplikatorenrolle zugedacht. Dazu muss jedoch die bei Ärzten unterschwellig vorhandene Angst vor Transparenz und Überprüfbarkeit der leitliniengerechten ärztlichen Behandlung ausgeräumt werden. Das könnte sowohl regulatorisch als auch kommunikativ behandelt werden, ob dabei auch finanzielle Überzeugungsmittel eingesetzt werden, bleibt abzuwarten.

Um die ePA positiv in das Bewusstsein der Bevölkerung zu rücken, schlagen die Werbefachleute daher eine zentral gesteuerte, öffentlichkeitswirksame Dachkommunikationskampagne unter Federführung des BMG vor. U.a. könnte das vom BMG betriebene Gesundheitsportal „gesund-bund.de“ zu einer wissenschaftlich fundierten Informationsquelle für die ePA-Kommuniktion weiterentwickelt werden. Daneben sollten social-media Plattformen bespielt werden und qualitätsgeprüfte, reichweitenstarke Gesundheitsmedien in die Verantwortung genommen werden. Nichtzuletzt wird dem ÖR Rundfunk eine wichtige Rolle in der Kommunikation zugewiesen, um innerhalb der Bevölkerung und der Ärzteschaft Vertrauen in die elektronische Patientenakte aufzubauen. Dieser Blick in den Werzeugkasten der Werbefirmen lässt erahnen, dass im Jahr 2024 die Bevölkerung massiven Werbekampagnen für die ePA ausgesetzt wird.

Fazit

Für die Nutznießer der Digitalisierung im Gesundheitswesen, allen voran die Pharmakonzerne und die IT-Wirtschaft, eröffnet die ePA ein lukratives Geschäftsfeld. Gesundheitsdaten gehören zu den teuersten gehandelten Daten überhaupt. Daher ist es verständlich, dass diese Interessengruppen alles für die flächendeckende Einführung der ePA unternehmen werden.

[1] https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/user_upload/ST-G_Impulspapier_Kommunikation_ePA-Opt-out.pdf

[2] Krönke, Christoph (2022).
Opt-out-Modell für die Elektronische Patientenakte aus
datenschutzrechtlicher Perspektive.
Hrsg. Bertelsmann Stiftung. Gütersloh.

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