In der Gulaschprogrammiernacht des Chaos Computer Clubs hat der Hausarzt Stefan Streit einen sehr interessanten Vortrag zur Elektronischen Patientenakte gehalten, er ist hier:
Er begründet dort, warum die ePA derzeit nicht praktikabel sei. Medizinische Informationen dürfen nur mit Einwilligung der Patientin im Einzelfall in die EPA eingestellt werden. Von Ärztinnen wird verlangt, dass sie die Patientinnen über die Risiken aufklären, die damit verbunden sind, dass man dort Informationen entweder speichert oder nicht. Das soll auch geleistet werden bei der Speicherung genetischer Informationen, oder bei Speicherung von Informationen, wegen denen man diskriminiert werden kann. Dies ist im Rahmen der 5-Minuten-Medizin nicht angemessen zu leisten. Vor allem nicht bei der „Königsdisziplin“, der Behandlung von Jugendlichen, wo zunächst geklärt werden müsste, auf wessen Einwilligung es im Einzelfall ankommt.
Was wäre die Alternative? Nach seiner Meinung das Modell Dänemarkt oder Finnland. Dort gibt es nur eine elektronische Patientenakte pro Patientin, ob diese will oder nicht. Sie ist für jede Bürgerin auf zentralen Servern gespeichert und wird von allen Ärztinnen des Landes gefüllt. Fertig. In Deutschland soll eine elektronische „Schattenakte“ eingeführt werden, für die die Patientin verantwortlich sein soll. Daneben gibt es in Deutschland noch die BGB-Patientenakte, die Arzt und Krankenhaus verantwortlich führen. Warum die Dopplung? Wegen der Gefahr der Diskriminierung, wenn die Inhalte bekannt werden. Denn diese lassen sich nun einmal bei zentraler Speicherung nicht schützen, das wissen wir alle, zumindest bei der Gulaschprogrammiernacht des CCC. Deshalb sollte die Patientin selbst Schuld sein, wenn es schiefgeht. Selbstbestimmung, Datenschutz. Das scheint doch nachvollziehbar.
Die Lösung von Stefan Streit: Diskriminierung wegen gesundheitlicher Eigenschaften verbieten und abschaffen! Dann kann über jede bekannt werden, was immer sie dem Arzt erzählt hat, und nichts Böses passiert. Wenn das möglich wäre, hätte er Recht, allein ich glaube, das geht nicht. Vielmehr gibt es nicht ohne Grund einen ganzen Industriezweig, der Menschen berät, wie man sich am besten verkauft, d.h. nur bestimmte Dinge über sich preisgibt und andere nicht. Noch ein Beispiel. Der Diversity-Berater Marcus Urban wollte für den 17. Mai 2024 ein Gruppen-Outing von homosexuellen Berufs-Fußballspielern organisieren. Groß angekündigt in ARD, ZDF, Spiegel usw. Es haben sich nämlich, von vermutlich hunderten Betroffenen, erst fünf geoutet, und das erst jeweils nach Karriere-Ende. Es hat letztlich aber keiner dabei mitgemacht. Die Fußballprofis haben sehr gute Gründe dafür, ihr Schwulsein geheim zu halten: ihre Werbeverträge. Denn Stefan Streit kann den Fußballfans nicht verbieten, ihre nächsten Sneaker statt bei Puma, bei Adidas zu kaufen, weil der Puma-Werbeträger schwul ist. Ähnlich ist das mit anderen gesundheitlichen Eigenschaften. Deshalb will jede möglichst selbst entscheiden, wer was über sie zu wissen glaubt. Egal was davon nach Mediziner-Meinung angeblich stimmt oder auch nicht! Dafür haben die Menschen sehr gute Gründe verschiedenster Art, insbesondere in der Wettbewerbsgesellschaft.
Meine Meinung ist daher etwas anders. Wir brauchen
- Haftpflicht und Gefährdungshaftung für Besitzer medizinischer Daten gegenüber den Betroffenen,
- Schadenersatz von ihnen, verschuldens-unabhängig, wenn Behandlungs-Daten in falsche Hände kommen,
- Kopien der ärztlichen BGB-Akten in der Hand der betroffenen Patientinnen,
- Weitergabe von Behandlungsdaten nur behandlungsbezogen direkt zwischen den Beteiligten.
Ein guter Vortrag ist einer, der zu guten Diskussionen anregt und die Probleme auf den Punkt bringt. Das ist bei dem Vortrag von Stefan Streit der Fall. Er dauert eine Stunde. Jede Sekunde lohnt sich.