Antworten von Grünen-Kandidat Dr. Armin Grau

1. Wie beurteilen Sie das Kosten-Nutzen-Verhältnis der „Telematikinfrastruktur für das Gesundheitswesen“ (TI) und die weiteren Kosten durch die TI 2.0 (https://www.gematik.de/fileadmin/user_upload/gematik/files/Presseinformationen/gematik_Whitepaper_Arena_digitale_Medizin_TI_2.0_Web.pdf)?

Angesichts des Fortschritts gerade bei Sicherheits- und Zugangstechnik halten wir die von der Gematik geplante Weiterentwicklung der TI für notwendig und folgerichtig, Abgesehen davon finden wir es nicht zufriedenstellend, dass es erst in den letzten Jahren gelungen ist, die Digitalisierung für das Gesundheitswesen beschleunigt voranzutreiben und zuvor viele Jahre mit Blockaden unterschiedlicher Interessengruppen vergeudet wurden. Auf diese Weise ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis für diese Zeit sehr unbefriedigend. Wir gehen aber davon aus, dass die Digitalisierung und speziell die TI einen zunehmenden Wert für die Patient*innen und ihrer Versorgung bringen wird, wenn weitere nutzbringende Anwendungen wie insbesondere die elektronische Patientenakte langsam Fahrt aufnehmen werden. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass Digitalisierung nicht länger als Selbstzweck gesehen wird, sondern mit einer Strategie gezielt daran gearbeitet wird, damit konkrete Versorgungsziele zu erreichen.

2. Die TI 2.0 setzt auf Authentifizierung durch „digitale Identitäten“ (ohne eGK/Konnektoren). Wie bewerten Sie die gesetzl. Pflicht von Ärzten, Apotheken usw., sich jetzt noch per Konnektor an die TI anzuschließen? Halten Sie eine rein Software-basierte Lösung für ebenso sicher wie die bisherige?

Wir sehen die Pläne der Gematik zur Weiterentwicklung der TI grundsätzlich positiv. Sie ist das zentrale Kommunikationsnetz im Gesundheitswesen. Die bereits vor einigen Jahren eingeführte Verpflichtung zum Anschluss an diese Infrastruktur ist zwingend für Nutzen und Erfolg der TI. Der Übergang zur TI 2.0 und einer damit verbundenen Software-basierten Zugangslösung wird erst in einigen Jahren erfolgen und voraussichtlich für eine gewisse Zeit die parallele Nutzung von Hardware- und Software-basierten Lösungen ermöglichen. Insofern spricht nichts dagegen, der gesetzlichen Vorgabe zu folgen und sich an den Konnektor anzuschließen. Software-basierte Lösungen können aus unserer Sicht genauso sicher sein wie Hardware-basierte Lösungen, sind überdies flexibler und ermöglichen daher auch den mobilen Zugang von Leistungserbringern zur TI. Das erleichtert auch den Zugang von Gesundheitsberufen, die meist keine eigenen Praxisräume nutzen wie etwa Hebammen, Pflegekräfte oder bestimmte Therapieberufe.

3. Versicherte greifen mit kaum/nicht gesicherten Smartphones auf ihre Daten (Rezepte, ePatientenakte) in der TI zu. Was halten Sie davon, wenn gesetzlich Versicherte ein Smartphone brauchen, um ihre Gesundheitsdaten zu sehen oder den Zugriff darauf zu regeln?

Wir finden es unbefriedigend, dass Versicherte zunächst nur über mobile Endgeräte auf die Daten ihrer elektronischen Patientenakte zugreifen können und erst zu einem späteren Zeitpunkt der Zugriff auch über Endgeräte wie private PCs möglich ist. Damit werden vor allem ältere Versicherte ausgeschlossen, die häufig gar nicht über ein Smartphone bzw. über kein geeignetes mobiles Endgerät verfügen.

4. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) fordert die obligatorische ePatientenakte ab Geburt (Gutachten „Digitalisierung für Gesundheit – Ziele und Rahmenbedingungen eines dynamisch lernenden Gesundheitssystems“). Wie bewerten Sie diese Position des SVR?

Wir unterstützen die Forderung des SVR nach einer Opt-out Regelung für die Patientenakte nicht. Die Akte muss jedoch zügig durch ihren erlebten Nutzwert für alle Akteur*innen überzeugen.

5. Der Sachverständigenrat fordert in seinem Gutachten zudem, dass künftig auch die Gesundheits- und Behandlungsdaten in den ePA der einzelnen Versicherten per Gesetz und ohne vorherige Einwilligung der Betroffenen für Forschungszwecke genutzt werden dürfen. Wie bewerten Sie diese Position des SVR?

Gesundheitsdaten können die Forschung zu neuen Behandlungsmethoden, neuen Arzneimitteltherapien sowie auch die Verbesserung der Versorgung vorantreiben. Die Patient*innen sollen selbst entscheiden können, ob sie ihre pseudonymisierten Daten für die Wissenschaft freigeben wollen und wem und zu welchen Zweck. Sie sollen diese Einwilligung zudem jederzeit widerrufen können. Anonymisierte Daten sollen der Wissenschaft frei zur Verfügung stehen.

6. Daten ges. Versicherter werden bereits ohne deren Einverständnis in Datenbanken gesammelt (Implantateregister, Forschungsdatenbank n. §§ 303a-f SGB V). Wie bewerten Sie diese Daten-Pools? Sind Sie für weitere Patientendaten-Pools ohne Zustimmung der Betroffenen? Für welche Zwecke/ mit welchen Daten?

Die genannten Datenhaltungen verfolgen unterschiedliche Zwecke. Das Implantateregister dient der Sicherheit und Qualität der Implantatversorgung. Die Daten nach den §§303a-f dienen zunächst der Abrechnung der Krankenkassenleistungen und werden in anonymisierter und pseudonymisierter Form auch zur Pflege und Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs innerhalb der GKV genutzt. Öffentliche Institutionen wie Hochschulen oder öffentlich rechtliche Körperschaften können diese Daten für die in §303e Abs. 2 genannten gemeinwohlorientierten Zwecke nutzen. Im Gesundheitswesen entstehen sehr viele Daten. Unser Ziel ist eine dezentrale Forschungsdateninfrastruktur zu schaffen und die Nutzung für die Forschung zu ermöglichen. Voraussetzung ist, dass die Patient*innen in die Nutzung pseudonymisierter Daten eingewilligt haben und diese Nutzung jederzeit widerrufen können. Die Ergebnisse, die aus weitergegebenen Gesundheitsdaten gewonnen werden, sollen der Allgemeinheit nach dem Open-Data-Prinzip zur Verfügung stehen.

7. Die Grünen beantragten eine regionale „integrierte Versorgung“ (https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/218/1921881.pdf), also die Übertragung des med. Versorgungsauftrags an Managementgesellschaften sowie gemeinsame ePatientenakten für Behandler und Manager. Wie bewerten Sie dieses Konzept?

In dem erwähnten Antrag ist von „gemeinsamen Patientenakten“ keine Rede. Vielmehr soll in diesen Regionen die elektronische Patientenakte des SGB V genutzt werden. Auf diese Akte haben, wie im SGB V vorgesehen, nur die Versicherten und – soweit die Versicherten hierfür die entsprechenden Freigaben erteilt haben – die Leistungserbringer Zugriff.

8. Zum Juli 2021 wurde EU-weit ein digitales Impfzertifikat eingeführt. Nicht geregelt ist, wer dessen Vorlage in der BRD wofür verlangen darf. Soll die Nutzung des Zertifikats gesetzlich geregelt werden? Mit welchem Inhalt? Würden Sie bei künftigen Pandemie-Maßnahmen den Datenschutz anders gewichten?

Das digitale Impfzertifikat ist in §22 des Infektionsschutzgesetzes geregelt. Die Vorlage eines solchen Impfnachweises in digitaler Form kann durch die Behörden u.a. bei der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland verlangt werden (§5 der Coronavirus-Einreiseverordnung). Sind digitale Angebote gut umgesetzt, sind sie auch nach Ansicht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz besser als jeder analoge Nachweis. Inwieweit der Datenschutz bei künftigen Pandemiemaßnahmen anders gewichtet werden sollte, kann nur bezogen auf konkrete Instrumente der Pandemiebekämpfung dann entschieden werden.

Patientenrechte und Datenschutz e.V.