1. Wie beurteilen Sie das Kosten-Nutzen-Verhältnis der „Telematikinfrastruktur für das Gesundheitswesen“ (TI) und die weiteren Kosten durch die TI 2.0 (https://www.gematik.de/fileadmin/user_upload/gematik/files/Presseinformationen/gematik_Whitepaper_Arena_digitale_Medizin_TI_2.0_Web.pdf)?
Die Digitalisierung birgt nach Ansicht der LINKEN wie jede Technologie oder neue Therapieverfahren sowohl Chancen als auch Risiken. Die Anwendungen innerhalb der TI, vor allem die Patientenakte, können helfen, das Selbstbestimmungsrecht der Versicherten zu verwirklichen. Leider wurde die 15 Jahre währende teure Lähmung in der Digitalisierung des Gesundheitswesens durch unkritischen teuren Aktionismus ersetzt. So wurden unfertige digitale Anwendungen online gebracht, Datenschutzpannen provoziert und hohe Kosten verursacht. DIE LINKE kritisiert scharf, dass mit der Einführung der elektronischen Patientenakte das Versprechen für volle Datensouveränität für die Patient*innen nicht eingehalten wurde. Es fehlen sowohl eine transparente Kosten-Nutzen -Abwägung für die TI als auch fundierte Nutzen-Risiko-Bewertungen für die einzelnen Anwendungen.
2. Die TI 2.0 setzt auf Authentifizierung durch „digitale Identitäten“ (ohne eGK/Konnektoren). Wie bewerten Sie die gesetzl. Pflicht von Ärzten, Apotheken usw., sich jetzt noch per Konnektor an die TI anzuschließen? Halten Sie eine rein Software-basierte Lösung für ebenso sicher wie die bisherige?
Der Vorschlag einer TI 2.0 stammt von der gematik, über dessen Umsetzung genauso wie über die weitere Ausrichtung der Digitalisierung politisch entschieden werden muss. Dies ist also keineswegs in Stein gemeißelt, sondern umkämpft. DIE LINKE kritisiert, dass die gematik einen wuchernden digitalen Gesundheitsmarkt einrichten will, statt Digitalisierung im Sinne der Daseinsvorsorge zu öffentlich gestalten. Offen ist beispielsweise, ob und wie Patient*innen und Menschen mit Pflegebedarf ohne mobiles Endgerät oder mit wenig Technikkompetenz die Vorteile einer elektronischen Patientenakte, wenn sie denn noch erreicht werden, nutzen können. Ebenso offen ist, wie der Zugang zu einer etwaigen TI 2.0 konkret gestaltet und Datensicherheit und Selbstbestimmung umfassend gewährleistet werden können. Ob der konnektorenfreie Zugang zur TI ebenso (un-)sicher ist, müssen IT-Fachleute einschätzen. Politisch werden wir nur Technologien unterstützen, die keine Abstriche bei der Datensicherheit machen.
3. Versicherte greifen mit kaum/nicht gesicherten Smartphones auf ihre Daten (Rezepte, ePatientenakte) in der TI zu. Was halten Sie davon, wenn gesetzlich Versicherte ein Smartphone brauchen, um ihre Gesundheitsdaten zu sehen oder den Zugriff darauf zu regeln?
Auch hier zeigt sich, dass der Digitalisierungsaktionismus der Bundesregierung erhebliche Schwachstellen und Umsetzungsprobleme mit sich bringt. Die Frage, welche Anforderungen das mobile Endgerät mit sich bringen muss, um Datenmissbrauch vorzubeugen und Datensicherheit zu gewähren, ist nicht ausreichend geklärt. Die Konzentration auf mobile Endgeräte schließt etwa viele Menschen mit alters- oder behinderungsbedingten Einschränkungen aus. Die angedachten großzügigen Befugnisse für andere Menschen, etwa Betreuungspersonen, werfen schwierige Frage des Datenschutzes und der Datensouveränität auf. Alle technischen Möglichkeiten nutzen nichts, wenn Patient*innen und Behandelnde nicht selbstbestimmt und risikobewusst damit umgehen können. Hier werden nach unserem Eindruck alle Beteiligten überrollt und es müsste zunächst viel Energie in das Empowerment von Ärzt*Innen und anderen Behandelnden sowie der Patient*innen/Versicherten fließen, bevor ein sicherer Betrieb möglich ist.
4. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) fordert die obligatorische ePatientenakte ab Geburt (Gutachten „Digitalisierung für Gesundheit – Ziele und Rahmenbedingungen eines dynamisch lernenden Gesundheitssystems“). Wie bewerten Sie diese Position des SVR?
DIE LINKE lehnt eine obligatorische Verpflichtung für eine ePatientenakte ab Geburt und ohne Zustimmung der Versicherten und Patient*innen ab. DIE LINKE setzt sich dafür ein, dass eine wirklich am Patient*innenwohl orientierte digitale Patientenakte kommt. DIE LINKE fordert eine gemeinwohlorientierte Digitalisierung, nicht eine der IT-Konzerne. Dazu muss eine Mitbestimmung der Patient*innenvertretung in die Digitalisierungsstrategie und deren Umsetzung institutionell verankert werden. Die ePatientenakte muss barrierefrei gestaltet und allen Menschen diskriminierungsfrei zugänglich sein. Alle Maßnahmen müssen sich vor allem an der Handhabbarkeit für die vulnerabelsten Versichertengruppen orientieren, die zugleich auch den größten potentiellen Nutzen hätten. Eine Patientenakte für 30Jährige nutzt niemandem.
5. Der Sachverständigenrat fordert in seinem Gutachten zudem, dass künftig auch die Gesundheits- und Behandlungsdaten in den ePA der einzelnen Versicherten per Gesetz und ohne vorherige Einwilligung der Betroffenen für Forschungszwecke genutzt werden dürfen. Wie bewerten Sie diese Position des SVR?
Für DIE LINKE muss das öffentliche Interesse an Gesundheitsforschung mit dem öffentlichen sowie individuellen Interessen an Datensparsamkeit, Datensicherheit und informationeller Selbstbestimmung austariert werden. Einen Zugriff auf personenbezogene Daten ohne informierte Zustimmung der Dateninhaber*innen lehnen wir ab. Dabei reicht es nicht aus, ein Formblatt zu den zahlreichen anderen vor einer Behandlung zur Unterschrift vorzulegen. Vielmehr muss die Aufklärung unabhängig, persönlich und ergebnisoffen durchgeführt werden.
6. Daten ges. Versicherter werden bereits ohne deren Einverständnis in Datenbanken gesammelt (Implantateregister, Forschungsdatenbank n. §§ 303a-f SGB V). Wie bewerten Sie diese Daten-Pools? Sind Sie für weitere Patientendaten-Pools ohne Zustimmung der Betroffenen? Für welche Zwecke/ mit welchen Daten?
DIE LINKE steht klar zur Datensouveränität der Patient*innen über ihre Gesundheitsdaten. Die Forderungen nach einem Aufweichen des Selbstbestimmungsrechts lehnen wir ab, denn persönliche Gesundheitsdaten sind zu sensibel, als dass es eine ethische Pflicht zu ihrer Bereitstellung geben könnte. Stattdessen fordern wir ein Netzwerk von zertifizierten Forschungseinrichtungen, die, im Auftrag von Unternehmen, freigegebene Daten analysieren und die Ergebnisse anonymisiert an den Studiensponsor weitergeben. Für datenschutzrechtlich unkritische Forschung mit anonymisierten Daten sollten die verfügbaren Routinedaten mit anderen Datensätzen wie Registerdaten unkompliziert zusammengeführt werden können.
7. Die Grünen beantragten eine regionale „integrierte Versorgung“ (https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/218/1921881.pdf), also die Übertragung des med. Versorgungsauftrags an Managementgesellschaften sowie gemeinsame ePatientenakten für Behandler und Manager. Wie bewerten Sie dieses Konzept?
DIE LINKE sieht eine starke Zersplitterung der Versorgungslandschaft kritisch. Zwar befürworten wir Anpassungen an regionale Besonderheiten ebenso wie die Weiterentwicklung der Versorgung durch evaluierte Modellprojekte. Einige Ansätze der „integrierten Versorgung“ sind durchaus interessant und sollte auf ihre Übertragbarkeit auf die Regelversorgung hin untersucht werden. Doch das Ziel einer guten Gesundheitsversorgung für alle Menschen und Regionen kann nach unserer Einschätzung nicht durch regionale Gesundheitsmärkte auf Basis von Selektivverträgen erreicht werden. Den Zugriff auf Patientendaten durch andere Personen als ausdrücklich von den Versicherten legitimierte Behandelnde (Ärzt*innen, Pflege, Apotheke, Krankenhaus etc.) lehnen wir ab.
8. Zum Juli 2021 wurde EU-weit ein digitales Impfzertifikat eingeführt. Nicht geregelt ist, wer dessen Vorlage in der BRD wofür verlangen darf. Soll die Nutzung des Zertifikats gesetzlich geregelt werden? Mit welchem Inhalt? Würden Sie bei künftigen Pandemie-Maßnahmen den Datenschutz anders gewichten?
Wenn bei der Vorlage des Impfnachweises weiter keine personenbezogenen Daten erhoben und weiter verarbeitet werden, sind die Verordnungen von Bund und Ländern zum Schutz vor der Verbreitung des Corona-Virus als Rechtsgrundlage ausreichend. Wenn sich die Nutzung nicht auf die Prüfung des Impfstatus (vergleichbar der Vorlage von Testzertifikaten und Genesenennachweisen) beshränkt, bräuchte es hierfür eine Rechtsgrundlage. Hierfür ist aus unserer Sicht dann eine gesetzliche Grundlage zwingend. In den genannten Verordnungen sollten klarer als bislang datenschutz- und datensicherheitliche Anforderungen an die Erhebung und Aufbewahrung von Daten für die spätere Kontaktnachverfolgung formuliert sein. Das ist mit den ersten entsprechenden Corona-Schutzverordnungen zu zögerlich erfolgt.