Der verkaufte Patient - Eine Buchbesprechung

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Auf ein ziemlich gutes Buch möchte ich Euch hinweisen, das Ihr alle lesen solltet, um zu wissen, auf was für einem richtigen Weg wir sind. "Der verkaufte Patient" von Renate Hartwig. Das gilt sowohl für die UnterstützerInnen der Freien Liste Müller als auch für die MitautorInnen des Buches zur EGK, koordiniert durch das Komitee für Grundrechte und Demokratie. "Der verkaufte Patient" ist bisher das beste Buch zum Thema, es ist besser für den Normalbürger geeignet als mein eigenes, und deshalb sollten wir es alle gelesen haben. Zu seinen Schwächen komme ich noch.

Seine stärksten Teile sind die Beschreibungen aus der Praxis. Auf Seite 33 - 35 beschreibt sie einen Arbeitstag in der Arztpraxis mit Fallbeispielen und dem jeweiligen bürokratischen Aufwand, der getrieben werden muss, damit Patienten bekommen, was sie brauchen. Sie beschreibt das Ausmaß der Bürokratisierung und seine Triebkraft, den Selbsterhaltungs- und Ausdehnungstrieb der Bürokratien von KVen und Kassen. Hervorragend! Und sie nimmt im Buch die meisten großen Themen aufs Korn. Kassenärztliche Vereinigungen, Disease Management Programme, Managed Care, Call Center, Privatisierung, Karl Lauterbach, Medizinische Versorgungszentren (MVZ). Elektronische Gesundheitskarte. Sie zeigt, dass Bürokratisierung und Privatisierung im Gesundheitsbereich Hand in Hand gehen. Sie sagt: es gibt keinen Großbereich, der sich so gegen jeden Einblick und jede Enflußname von außen abgeschottet hat, wie die Gesetzliche Krankenversicherung. Für einen Überblick über die Zusammenhänge ist das Buch gut!

Renate Hartwig entlarvt in ihrem Buch eine von ihr erkannte Verschwörung: aus Krankenkassen, Kassenärztlichen Vereinigungen und Regierung. Ziel: Privatisierung. Ein wesentliches Mittel dazu: EGK. Neu für mich ist die, von ihr durchschaute, Inspiration deutscher Gesundheitsreformen durch das US-Unternehmen Kaiser Permanente. Kaiser Permanente habe die gesamte "Wertschöpfungskette" der Gesundheit in einem Unternehmen vereinigt, nämlich Versicherung, ambulante Behandlung und Krankenhaus. Das Unternehmen berät deutsche Spitzenpolitiker. In Deutschland Rahmenbedingungen schaffen, unter denen man die Krankenkassen und KVen privatisieren kann, und sie dann mit PKV und Klinikkonzernen fusionieren, darauf läuft es hinaus. Das man das nicht öffentlich breittritt, kann ich verstehen. Das müssen wir im Auge behalten.

Renate Hartwig vertritt, wie wir, ausschliesslich Patienteninteressen, und man kann ihr keine großen Fehler nachweisen, ausser vielleicht bündnispolitische. Sie steht mit dem Hausärzteverband im Bündnis, und der steht im Konflikt mit der Freien Ärzteschaft, die das Bündnis "Stoppt die e-card" mitträgt. Hartwig mobilisiert Massen. Anders, als die meisten von uns. Über ihre diesbezügliche Arbeit könnt Ihr Euch unter folgenden Links informieren, die Ihr unbedingt anklicken solltet, einschließlich der Videos. http://www.lesungen.tv/web-tv/renate-hartwig-protest-im-olympiastadion/ und http://www.presse.patient-informiert-sich.de/

Interessant ist die Marburger Initiative "Notruf 113", auf die man über den zweiten Link stoßen kann. Dort wehren sich PatienInnen gegen die Privatisierung einer Klinik. Renate Hartwig ist dabei.

Der Freund und Mitstreiter Wolfgang Linder würde dazu wieder sagen: "Es ist doch schön, was von jemandem zu lesen, der sich über den ganzen korrupten und bürokratischen Sumpf noch richtig schön aufregt!" Wolfgang hat recht, alte Hasen wie wir haben sich an alles gewöhnt. Eine Korruptionsaffäre mit Unterschlagung von ein paar Millionen durch Krankenkassen- oder KV-Funktionäre nötigt uns nur ein Achselzucken ab. Bei Strukturen wie den jetzigen ist das unvermeidlich, deswegen wird es Korruptionsaffären geben und gibt es sie auch. Entweder werden sie aufgedeckt oder nicht. Renate Hartwig regt sich auf. Und wie. Manfred Lotze wird Freude an ihr haben. Der Freund und Mitstreiter Manfred Lotze kritisiert einen Beitrag von mir in der FIFF Broschüre zur EGK wie folgt:

"An einer Stelle leuchtet die dramatische Veränderung in der ethischen Basis des Arzt-Patientenverhältnisses besonders auf, das uns mit dem Slogan " Gesundheit ist keine Ware" vertraut ist. Auf Seite 52 steht: 'Dazu wird ein Medium gebraucht, mit dem unterschiedliche Tarife der gesetzlich versicherten Patienten in der Arztpraxis sofort und sicher festgestellt werden, sodass jemand, der nicht den richtigen Tarif hat, schon am Empfangstresen der Arztpraxis um Barzahlung gebeten oder nach Hause geschickt wird. Und das schien mit der eGK gefunden.' An dieser Stelle vermisse ich die Aufklärung über Hintergründe und Motive solcher Inkaufnahme von Inhumanität."

Lieber Manfred, bei Renate Hartwig wirst Du das nicht vermissen. Gesundheit wird zur Ware, das ist der Rote Faden ihres Buches. Sie ist Moralistin. Bei ihr folgen auf jede Schilderung von Zusammenhängen viele Sätze zu den Motiven und Hintergründen, den gesellschaftlichen, warum sie das aufregt, und dass wir alle deswegen die Regierung schnellstens abwählen sollten. Wie die meisten von uns, ist sie große Kritikerin des Neoliberalismus und der Bertelsmann Stiftung, und sie entlarvt auf Schritt und Tritt die Herkunft des meisten Übels aus dem Neoliberalismus, oder seine Zusammenhänge mit der Bertelsmann Stiftung. Das Buch ist wirklich lesenswert, vor allem, wenn man, wie ich, schnell querlesen kann. Da stört die viele Aufklärung und Aufregung nicht.

Eins fällt auf, Renate Hartwigs wichtigstes Thema ist eigentlich: Renate Hartwig. Ihre Aktionsgrundlage ist ihr Gesunder Menschenverstand. Beispiel: das traditionelle Verhältnis Arzt-Patient (angeblich ein Vertrauensverhältnis) wird von ihr erbittert gegen seine Bedrohungen verteidigt. Leute wie ich nennen dieses Verhältnis "Halbgott in Weiss". Diese Kritik kommt bei ihr nicht vor, und Informationen darüber, wie weit gehend die Pharmaindustrie den Arzt an der Ecke im Griff hat, liefert sie nicht. Die Erfahrung, dass schrillste Schreie mancher Ärzte, wegen angeblicher Verletzung elementarster Patientenrechte, schon oft mit wenigen Dollar zum Schweigen gebracht wurden, die hat sie zwar auch schon gemacht. Besondere Lehren daraus findet man nicht in ihrem Buch.

Ich sehe es auch so, dass wir die Programmatik der Liste Neuanfang knapp halten sollten, und uns konzentrieren auf das Thema EGK. Wenn man Renate Hartwigs Buch gelesen hat, (natürlich auch wenn man den "Gesundheitschip" gelesen hat), weiss man, dass man mit der EGK ein Herzstück des Programms "Gesundheit als Ware" kritisiert. Aber wir (Freie Liste Müller) sollten das Bündnis mit Organisationen suchen, deren Programm breiter angelegt ist. Wir werden Gesundheitspolitik machen, müssen daher in dieser Szene Gehör finden und uns verankern.

Unser Verantwortlicher für Bündnispolitik, Raffael, könnte ja mal Kontakt mit "Notruf 113" und "patient informiert sich" aufnehmen und sie fragen, was sie von einer Zusammenarbeit halten. Fragen kostet ja nichts. Unabhängig davon ob wir das machen oder nicht, kauft und lest "Der verkaufte Patient"!


Euer Jan