Ärztetage zur Elektronischen Gesundheitskarte
113. Deutscher Ärztetag in Dresden am 14.5.2010
Stopp des Projektes „ Elektronische Gesundheitskarte“
Der Deutsche Ärztetag 2010 fordert von der Bundesregierung, das verfehlte Projekt elektronische Gesundheitskarte (eGK) in der weiter verfolgten Zielsetzung endgültig aufzugeben. Damit können bis zu 14 Milliarden Euro Versichertengelder eingespart werden. Insbesondere wenden wir uns entschieden gegen die Verwandlung der Arztpraxen in Außenstellen der Krankenkassen durch die Verlagerung des Versichertendatenmanagements in die Praxen. In Zeiten drohenden Ärztemangels vor allem in ländlichen Regionen ist dieses Vorhaben kontraproduktiv.
Vier Jahre nach dem ursprünglichen Einführungsjahr der e- Card 2006 ist die neue Versichertenkarte noch immer nicht praxisreif, aber 700 Millionen Euro an Beitragsgeldern wurden allein 2009 für die 1. Phase des sogenannten „Roll- out“ im Gesundheitsfonds eingeplant. Die bisherigen Test - Ergebnisse waren negativ, und die Tests wurden schon 2008 weitgehend eingestellt. Eine kostspielige Neuauflage in Nordrhein wäre unverantwortlich.
Das neue Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Thema Vorratsdatenspeicherung bei Telefondaten widerspricht einem Beharren auf dem „weltgrößten IT Projekt“ mit geplanter Vorratsdatenspeicherung aller Kontakte zwischen Ärzten und Patienten und insbesondere auch allen weitergehenden Anwendungen im Rahmen einer „Telematikinfrastruktur“, wie der Erstellung von E- Rezepten oder “Elektronischen Patientenakten“, die derzeit nur verschoben, nicht aber ad acta gelegt worden sind.
Die jetzt vorgesehene „Online-Stammdatenaktualisierung“ der Versichertendaten an der Anmeldung der Arztpraxen mit der Speicherung der sensiblen Stammdaten, wie zum Beispiel Teilnahme am „Chronikerprogramm“ Diabetes oder Brustkrebs in einer zentralen Serverstruktur widerspricht dem Recht der Versicherten auf informationelle Selbstbestimmung durch die mögliche Erstellung von Bewegungsprofilen. Das Recht der Ärztinnen und Ärzte auf geschützte und praktikable Durchführung ihrer ärztlichen Aufgaben wird missachtet. Es ist zu befürchten dass vor allem zu Quartalsbeginn in allen Regionen ohne schnellen DSL- Anschluss die Arbeit in den Arztpraxen auf diesem Wege lahmgelegt wird.
Moderne Möglichkeiten der Datenübertragung können auch ohne die staatlich aufgezwungene „Telematikinfrastruktur“ für die ärztliche Versorgung genutzt werden. Für den elektronischen Arztbrief ist eine Totalvernetzung nach staatlichen Vorgaben überflüssig.
Auch der Notfalldatensatz ist in allen Tests bisher gescheitert und wäre besser auf einem ohne Online- Infrastruktur auslesbaren Papierausweis aufgehoben.
Das e- Card- Projekt war von Anbeginn ein Teil der Umgestaltung unseres Gesundheitswesens im Sinne einer Managed- Care Medizin. Wir lehnen eine renditeorientierte Massenabfertigung unserer Patienten ab. Patienten sind keine Kunden, Ärzte keine Dienstleister und das e- Card- Projekt untergräbt die Schweigepflicht, widerspricht der europäischen Berufsordnung und gefährdet das vertrauensvolle Arzt-Patienten –Verhältnis.
112. Deutscher Ärztetag in Mainz (19.- 22.05.2009)
Unzureichende Berücksichtigung der Interessen von Patienten und Ärzten bei der Konzeption der eGK
Auf Antrag von Herrn Prof. Dr. Kahlke, Herrn Dr. Ramm, Herrn Dr. Niemann, Frau Haus, Herrn Dr. Rütz und Frau Prof. Dr. Krause-Girth (Drucksache VIII – 74) fasst der 112. Deutsche Ärztetag folgende Entschließung:
Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Ökonomisierung und Industrialisierung des Gesundheitswesens in unserem Land werden die Ärztinnen und Ärzte in Klinik und Praxis in ihrem Handeln immer mehr von fremdbestimm-ten ökonomischen Interessen beeinflusst.
Das Grundkonzept unseres ärztlichen Entscheidens und Handelns, bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht, darf nicht zerstört werden durch eine Transformation der Humanmedizin und damit des Gesundheitswesens in eine renditeorientierte Dienstleistungsindustrie.
Bereits der 111. Deutsche Ärztetag hat eine bundesweite Telematikinfrastruktur mit der verpflichtenden Online-Anbindung und der Speicherung von Krankheitsdaten in einer zentralen Serverstruktur abgelehnt und eine Neukonzeption des gesamten Projekts gefordert.
Dies ist bisher nicht erfolgt.
Die von der gematik im Dezember 2008 veröffentlichten Testauswertungen der 10.000er-Tests aus sieben Testregionen zeigen ernüchternde bis depri-mierende Ergebnisse:
- die getesteten Abläufe im Gesundheitswesen wurden verlangsamt statt verbessert;
- die PIN als Sicherheitsschlüssel für die Patienten ist komplett gescheitert;
- das elektronische Rezept und der Notfalldatensatz haben sich in keiner Weise bewährt.
Die Krankenhäuser sind bisher fast nicht in die Tests einbezogen und die in der Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit festgelegten 100.000er-Tests haben noch nicht begonnen.
Auch der Schutz vor Missbrauch durch die elektronische Gesundheitskarte erfüllt sich nicht, da von den Kassen ein nicht identitätsgeprüftes Foto ver-wendet wird.
Das verabschiedete BKA-Gesetz und eine Fülle von illegalen Datenzugriffen im letzten Jahr bestätigen die notwendige Ablehnung einer zentralen Speicherung von Krankheitsdaten. Diese dürfen nur beim Arzt oder der Ärztin des Vertrauens gespeichert werden oder sich beim Patienten befinden. Eine einmal zerstörte Privatsphäre ist nicht wieder zu heilen.
Ohne den Nachweis eines medizinischen Vorteils müssen die Krankenkassen in 2009 nur für die ersten Schritte dieses Projektes bereits ca. 660 Millionen Euro an Versichertengeldern investieren; dieses Geld fehlt der medizinischen Versorgung.
Für die elektronische Kommunikation unter den Behandelnden in Klinik und Praxis stehen die „Punkt-zu-Punkt-Kommunikation“ als elektronischer Arztbrief nach den 2008 definierten Sicherheitskriterien der Bundesärzte-kammer zur Verfügung sowie dezentrale Speichermedien in der Hand des Patienten.
Nach den Grundsätzen ärztlicher Ethik der Europäischen Berufsordnung darf der Arzt „... nicht beim Aufbau elektronischer Patientendatenbanken mitwir-ken, die das Recht des Patienten auf Schutz seiner Intimsphäre, die Sicher-heit und den Schutz seines Privatlebens gefährden oder schmälern. Jede Pa-tientendatenbank muss einem Arzt unterstellt sein, der namentlich bekannt ist."
Damit das Grundvertrauen der Patienten in unser ärztliches Berufsethos erhalten bleibt und das bewährte Konzept von einer am Individuum und seiner individuellen Lebensgestaltung orientierten Humanmedizin nicht zerstört wird, lehnt der 112. Deutsche Ärztetag die elektronische Gesundheitskarte in der bisher vorliegenden Form ab.