EGK-Kompromissler gar nicht ignorieren!

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Lieber Wolfgang,

leider bin ich erst jetzt dazu gekommen, mich mit den Mails unten und vor allem dem Sachstandsbericht und den Beschlüssen des Ärztetages zu beschäftigen.

Damit jeder den gleichen Informationsstand hat, schicke ich Kopien dieser Mail noch an ein paar Leute, und habe die Dokumente zum Ärztetag in das Wiki der "Liste Neuanfang" aufgenommen, sie sind dort aufrufbar: Ärztetag_2014_-_Thema_EGK_und_Telematik_Infrastruktur

Wir haben mit einer neuen politischen Situation zu tun. Die Ärzteschaft scheint sich weitgehend der "kontruktiv-destruktiven" Oppositionspolitik INNERHALB des Telematik-Projekts anzuschließen, die die Datenschutzbeauftragten schon länger betreiben. Die früheren Gegensätze haben sich eingeebnet, indem die Führung des Ärztetages jetzt mit offneren Karten spielt. Sie hat unsere Argumente aufgenommen. Meine Meinung über die Ärztemehrheit ist seit vielen Jahren: "Ihre Vertreter halten es für unpraktisch, gegen die eGK zu sein, vor allem weil mit SPD, CDU und Grünen alle möglichen Regierungsmehrheiten dafür sind. Die eGK steht schon im Gesetz, sie ließe sich deshalb nicht mehr verhindern. Daher ihre Politik: Befürwortung als Parole, aber zähe, hinhaltende Sabotage im Detail." (Digitalisierte Patienten, verkaufte Krankheiten, Seite 160/161, oder hier: auf Seite 54

Ob man das gut oder schlecht findet, dass das jetzt bei den Ärzten ganz und gar herrschende Meinung ist, ist nicht die Frage. Es ist ein Fakt, den wir akzeptieren müssen, weil er Fakt ist. Es bringt wenig, sich mit den Widersprüchen im Sachstandsbericht auseinander zu setzen. Zum Beispiel steht auf Seiten 9 und 42, dass die medizinische Fallakte in der Infrastruktur (also im Netz) gespeichert wird, unter Verantwortung der Krankenhäuser. Auf Seite 24/25 steht, dass die Leistungserbringer - also auch die Krankenhäuser - die Speicherung medizinischer Daten im Netz bisher verhindern konnten. Diese Widersprüche stören niemanden mehr so. Wer mitspielen will, kann nicht fundamental opponieren. Mitspielen bringt mehr, also muss man Dinge schön reden, um mitspielen zu können und zu dürfen. Das ist jetzt angesagt in der Ärzteschaft.

Eine von Patienten getragene Boykottpolitik gegen die EGK kann nicht mit größerer ärztlicher Unterstützung rechnen. Das zeichnet sich seit zwei bis drei Jahren ab, es war der Hauptgrund für das Fehlschlagen einer organisierten rechtlichen Widerspruchs-Kampagne. Jetzt, wo klar ist, dass eine Patienten-Kampagne ohne ärztliche Unterstützung auskommen muss, ist die Frage, ob sie ohne diese Unterstützung sinnvoll ist. Mein Vorschlag: wir sollten uns auf die Lieferung von Fakten und Analysen zurückziehen. Wie bisher, fordern wir zu nichts Bestimmtem auf, raten von nichts ab. Ich vertrete meine Mandanten, die selbst verantworten, was sie tun. Ich mache für mich selbst, was ich für vernünftig halte. Klar sagen, was ist. Fakten liefern. Mehr werde ich erst mal nicht tun. Das möchte ich im Folgenden genauer begründen. Nächsten Freitag, 13.6., 18 Uhr, ist unsere Telefonkonferenz, Einwahlnummer 06151627315396 und PIN 2224, da könnten wir darüber reden. Vielleicht teilen wir die Einschätzung.

Ich bin ein politisch engagierter IT-Profi, der eine Zeit lang bei einer Krankenkasse gearbeitet hat, ich kenne ein paar Leute aus dieser Ecke der Industrie, daher kommt meine Motivation. Was exakt meine ich mit "zentralen Patientenakten", die ich verhindern möchte. Damit meine ich medizinische Datensammlungen auf Servern, die zwischen mehreren Behandlern und Institutionen geteilt werden, für ganze Personengruppen, die durch das Sozialversicherungssystem definiert werden. Zum Beispiel für alle Teilnehmer von Hausarztprogrammen, alle Bewohner eines Gebiets (Kinzigtal), alle Diabeteskranken, die sich einem DMP Programm angeschlossen haben. Dass die Teilnahme daran freiwillig ist, ist unwichtig für die Betroffenen. Weil ihnen für den Fall, dass sie nicht freiwillig mitmachen, vom Arzt Nachteile in Aussicht gestellt werden. Und sie tatsächlich Nachteile haben, wenn sie der Datenhaltung nicht zustimmen (höhere Kosten bei Hausarztprogrammen, schlechtere Behandlung bei DMP). In dem Bereich ist Freiwilligkeit eine Illusion.

Ganz kurz gefasst: "was machbar ist, wird gemacht", davon gehe ich aus. Deswegen war oder bin ich unterwegs, deswegen kennen wir uns. Was bedeutet das genau. Zwei Dinge.

Es gibt erstens kulturelle und kommerzielle Entwicklungstendenzen, gut beschrieben in "Ware Gesundheit. Das Ende der klassischen Medizin" von Paul Unschuld. Die Logik dieser Entwicklung fordert zentrale Patientenakten im Netz. Es gibt zweitens eine technische Infrastruktur, die zentrale Patientenakten im Netz technisch ermöglicht. Wenn beides zusammen kommt, werden wir zentrale Patientenakten im Netz haben. Wir können sie dadurch verhindern, dass wir die Infrastruktur verhindern, wie bisher geschehen. Oder wir können sie verhindern, indem wir die gesellschaftliche Tendenz, die Unschuld beschrieben hat, umkehren. Wenn beides nicht passiert, wird es zentrale Patientenakten im Netz geben.

Ich will die Unterlagen sehen, die die technische Unmöglichkeit der zentralen Patientenakte zeigen. Die Spezifikationen der Gematik, die ich heruntergeladen und gelesen habe, besagen das Gegenteil. Sobald anderweitige Unterlagen veröffentlicht sind, stelle ich Aktivität auf diesem Gebiet ein. Und wir sehen uns zum Beispiel noch, wenn einer Geburtstag hat.

Die Datenschutzbeauftragten verlassen sich auf Gesetze, andere auf Beschlüsse. Ich verlasse mich auf technische Fakten plus Analyse Paul Unschuld. Es werden Milliarden in technische Fakten investiert. Es gibt das Gutachten von Booz Allen Hamilton von 2006, veröffentlicht vom CCC . Danach sind Investitionen in EGK und Infrastruktur in den Wind geblasen, wenn nicht die zentrale Patientenakte im Netz kommt. Die Krankenkassen sagen heute dasselbe (Presseerklärung ist unten verlinkt.) Jetzt soll ich glauben: in der Gematik sitzt Herr Bartmann, deswegen kommt sie nicht. Dem IT Profi fällt es schwer, an der Stelle höflich zu bleiben. Er dachte schon, es hätten alle verstanden. Es geht um Machbarkeit aufgrund technischer Fakten, ja oder nein. Hat sich dort was geändert, dann sagt es uns, Herr Bartmann, Thilo, zeigt uns die technischen Unterlagen. Zeigt uns Ausschreibungen, Verträge mit Arvato und Giesecke & Devrient, die beweisen: zentrale Patientenakte im Netz ist, auch beim schlechtesten Willen, technisch unmöglich. Und wir legen sofort die Hände in den Schoß. Zeigt sie uns nicht, und wir gehen weiter unseren aufklärerischen Weg. Die aktuelle Position der Gematik, erschienen gleichzeitig mit dem Sachstandsbericht, nämlich am 2. Mai 2014, findet man hier. Die Präsentation zeigt klipp und klar, dass die Gematik das Ziel der Speicherung von Patientendaten und Patientenakten im Netz aktuell intensiv verfolgt. Sie steht dazu, öffentlich. Ausser Meinungen hat sich NICHTS, ich wiederhole, NICHTS, geändert. Die Änderung von Meinungen ist nicht unwichtig.

Ärzte sehen die Lage heute lieber anders. Da sie den Boykott für gescheitert halten, haben sie sich der Strategie des kleineren Übels angeschlossen. Ich halte das für ganz OK aus Sicht der Ärzte. Bin aber keiner. Eigenständige Vertretung von Patienteninteressen bleibt erforderlich.

Beispiel: Arzneimitteltherapiesicherheit, AMTS. Unverträglichkeitsprüfung von eingenommenen Arzneimitteln (§ 291 a Abs. 3 Nr. 3 SGB V.). Stichwort Lipobay-Skandal. Dazu ist eine Anwendung vorgesehen, die alle Verschreibungsdaten der Patienten speichern soll. Apotheker und Ärzte wollen diese Anwendung zunächst nur lokal auf der EGK sehen und vielleicht später im Netz, Kassen und Gematik sofort im Netz. Die Position der Gematik ist systemimmanent richtig, weil der Patient die Karte z.B. im Krankenhaus nicht immer dabei hat, und sie verlieren kann. Die Kontroverse ist Hintergrund der Forderung des GKV-Spitzenverbands nach Einschreiten des Gesetzgebers und der Gegenreaktion der Ärzte und Apotheker.

Aus Sicht von PatientInnen wird in jedem Fall der Bock zum Gärtner gemacht. Entweder die Apotheker sollen den Medikamentenkonsum kontrollieren (ihr Ziel ist Umsatz-Maximierung), oder die Krankenkassen sollen das tun (ihr Ziel ist Kosten-Minimierung). Es liegen bereits genug Erfahrungen mit beidem vor. Es müsste eine unabhängige Kontrollinstanz geschaffen werden, wenn so eine Anwendung in Betrieb geht.

Ich bekomme seit Jahren wöchentlich Mails von Versicherten, die die EGK aktiv boykottieren - indem sie sich Papier-Bescheinigungen ausstellen lassen, und mit Widerspruch und Klage dagegen vorgehen. Es muss mittlerweile 100 aktiv Protestierende geben, und tausende, die kein Foto eingeschickt haben. Weitere wollen sich anschließen, sobald ihre KVK ungültig wird. Das Unschöne ist, Aktivisten gegen die EGK, die das Ganze organisieren könnten, gibt es 4 - 5. Ich will sie nicht namentlich aufzählen, Du weißt wen ich meine. Ab und zu tauchen neue Gesichter auf und verschwinden wieder, ratlos wegen der Komplexität der Materie, der Größe der Aufgaben, der Notwendigkeit völlig selbständigen Handelns. Man kriegt ja nur Ärger dabei. Wenn man es richtig gemacht hat, Ärger von Gematik, Ärzteverbänden, Krankenkassen, wenn man es falsch gemacht hat, Ärger von den eigenen Leuten. Lob gibt es grundsätzlich nicht. Ein ganz aussergewöhnliches Ausmass von Ergebnisorientierung wird verlangt.

Wir beide sind schon länger mit dem Thema unterwegs. Seit 2003 stellen die Krankenkassen, jeweils für in zwei Jahren, den Durchbruch in Aussicht. 2003 stellten sie die flächendeckende E-Patientenakte für 2005 in Aussicht, 2004 für 2006, 2009 für 2011, 2013 für 2015 usw. bis heute. Ich habe Beweismaterial gesammelt. Es erinnert an Monty Python oder "Ewig grüßt das Murmeltier". Mehr als 4-5 Leute waren nicht erforderlich, um das zu erreichen. Es spricht viel dafür, dass wir mit dem gewohnten Level an Aktivität weiter das gewohnte Ergebnis liefern. Es kann sich keiner vorstellen, dass so wenige Leute so viel erreichen können. Genau deswegen, weil sich das keiner vorstellen kann, schaffen wir es. Wir unterstützen die Selbstlähmungskräfte der diversen Gegenseiten. Und dagegen haben sie noch kein Rezept gefunden, ausser - Nacht und Nebel Gesetzgebung. Hier gilt nun Abraham Lincoln. You can fool part of the people all of the time, or you can fool all of the people part of the time, but you cannot fool all of the people all of the time.

Nach weiteren nimmermüden 10 Jahren mit 4 - 5 Leuten hat sich das Thema E-Patientenakte (wie oben definiert) erledigt. Ich verspreche hiermit, im Jahre 2024 eine Party in Berlin zu veranstalten, zu der ich Euch alle einlade, Getränke Essen und kulturelle Darbietungen sind für die 4-5 Leute kostenlos, alle anderen müssen Eintritt bezahlen. Wenn 2024 nicht mehr als dreimal so viele Leute von oben definierten Patientenakten betroffen sind, wie heute. Ich hätte das 2004 für dieses Jahr versprechen sollen. Damals war ich leider noch nicht so siegessicher.

LG Jan