Unsere Strategie
Dies ist ein kurzes Referat für die Gründungssitzung des Vereins. Ich muß hier ein relativ hohes Niveau von Kenntnissen über das deutsche Gesundheitssystem voraussetzen, ungefähr das Niveau des "GesundheitsChip", sonst kommen wir mit der Zeit nicht zu Rande.
Was ist neu?
Neu ist vor allem die Ärzteopposition, die das bisherige System radikal in Frage stellt. Sie setzt sich aus zwei Gruppen zusammen. Einmal Freie Ärzteschaft, Virchowbund. Die wollen zum guten alten Prinzip der Selbstbedienung zurück. Dazu wollen sie das Sachleistungsprinzip abschaffen und mit allen privat abrechen. Sie haben gemerkt, daß das System nicht mehr so für sie funktioniert, wie es 1905 bis 2005 für die deutschen Ärzte gut funktioniert hat. Sie wissen, daß mittlerweile knapp 50 % der GKV Patienten Leute sind, von denen man pro Fall mehr als doppelt so viel Geld kriegen könnte, wenn die alles nur für ihre eigene Behandlung, ohne jeden Sozialausgleich, ausgeben dürften. Die wollen sie als Patienten haben, und andere wollen sie höchstens noch behandeln im zwei Minuten Takt auf Staatskosten. Da könnte unterm Strich mehr herauskommen für sie.
Für die Pharmaindustrie wäre das ein großer Fortschritt, denn natürlich wollen diese Ärzte auch verschreiben dürfen, was sie wollen und woran sie glauben. Wie dieser Glaube meistens zustande kommt, wissen wir.
Dann hast du aber auch IPPNW, VDÄÄ, viele Hausärzte. Die würden sich am liebsten für ein Oberarztgehalt fest anstellen lassen, und dann die Leute entsprechend ihren hohen ärztlichen Wertvorstellungen behandeln. Viele von denen wissen auch, wie wenig Medizin eigentlich gebraucht wird. Die Leute vom IPPNW gehen ja in die Dritte Welt. Die wissen, was gesundheitliche Probleme sind. Die können schon lange ihrer Ethik nicht mehr folgen. Die Nischen, die es vor zehn, zwanzig Jahren noch gegeben hat, gibt es nicht mehr. Wenn du nicht einen bestimmten Mindestumsatz machst, wirst du heute gefeuert aus dem System. Deswegen können die einfach nicht mehr so behandeln, wie es ihren und unseren Wertvorstellungen entspricht. Es geht im System nicht mehr, den Leuten nichts unnötiges aufzuschwatzen. Ist verboten. Viele von ihnen sind schon Privatärzte geworden. Aber dagegen spricht wieder das soziale Gewissen. Es ist ein echtes Dilemma und aus dem wollen sie raus. Ich würde da auch raus wollen.
Durch diese neue Ärztefraktion, und durch die Privatisierung der Krankenhäuser, die Anstellung der Fachärzte bei den Krankenhäusern, hast du nun für die Krankenkassen eine völlig neue Situation. Die können sich ihre Leute jetzt aussuchen, denken sie. Und können ihre Qualitätssicherungs- und Kontrollprogramme immer mehr durchziehen, weil sie verschiedene Ärztegruppen im Wettbewerb gegeneinander ausspielen können. Es entsteht eine Eigendynamik, weil sich das ganze zyklisch verstärkt, und die wird das jetzige System in relativ kurzer Zeit sprengen. Die Frage ist nur, was danach kommt.
Was kommt
Die herrschende Meinung der Krankenkassen ist schon auf dem Kurs der PKV. Viele aus dieser herrschenden Meinung haben es allerdings selbst noch nicht gemerkt, daß sie auf dem Kurs der PKV sind. Da sind viele ehrenwerte und gutwillige Leute dabei. Aber gucken wir uns mal die Tatsachen an. Allianz KKH Krankenkasse, Signal Iduna Krankenkasse, Axa Colonia Krankenkasse, Barmenia Krankenkasse, Continentale Krankenkasse, Debeka Krankenkasse, Securvita. Alles Körperschaften des Öffentlichen Rechts, die wirtschaftlich einen Konzern mit der privaten Krankenversicherung bilden, deren Namen sie tragen. Die tauschen Personal aus, vermieten sich gegenseitig die Immobilien und so weiter. Die TK ist bei der Generali unter Vertrag (Envivas heißt die Generali-Tochter), die DAK bei der Hanse Merkur. Wer von euch meint, die Selbstverwaltung bei einer dieser Krankenkassen hätte dort mehr zu sagen, als der private Kooperationspartner, der hebe bitte die Hand. Diese Leute bitte das Gutachten zur Selbstverwaltung lesen, das ist relativ neu und man muß es kennen.
Wir werden demnächst einen Fusionsprozß erleben, es werden nur ein paar dutzend Kassen übrig bleiben. Diese Privaten werden auf jeden Fall dabei sein.
Die Kassen wollen dann natürlich vor allem eins, Versicherungen verkaufen. Möglichst fein ausdifferenziert, Hausarzttarif, Grundtarif, verschiedene Zusatztarife und so weiter, die sind schon dabei, ihr Leistungsangebot aus privat und gesetzlich so zusammen zu schneidern, daß möglichst viel Beitrag zusammen kommt. Und sie müssen dafür sorgen, daß dann möglichst viel Geld der Versicherten als Gewinn bei ihnen hängen bleibt und möglichst wenig an die Leistungserbringer weiter gereicht werden muß. In den Basistarifen also Managed Care, DMPs, DRGs und so weiter, und davon aufsteigend Zusatztarife mit einer Kontrolle und Steuerung, die der Versicherte, je mehr er zahlt, desto weniger bemerkt.
Mit diesen Zusatzverträgen kriegst du dann natürlich alles, was die Freien Ärzte, der Virchowbund und der Verband forschender Arzneimittelhersteller im Programm haben, oder zusätzlich astrologische Psychotherapie, Yoga, Feldenkrais und Zahnersatz. Das werden die uns alles anbieten, die sind ja nicht blöd.
Was wollen wir dann
Ich möchte eine angemessene Behandlung zu einem für alle gleichen Standardtarif. Unsere Gesellschaft ist reich genug, sich das leisten zu können. Und es gibt genug besser Verdienende, die sich nicht ohne Weiteres das Gegenteil aufschwatzen lassen. Zu denen gehöre ich. Aber das setzt voraus, daß du dich nicht von Versicherungen oder Ärzten für dumm verkaufen läßt, und das wird immer schwieriger. Denn die Wissenschaft steht ja hinter ihnen. In der Wissenschaft wird ja nur noch geforscht, was von Unternehmen bezahlt wird. Und das heißt, es gibt kaum noch Forschung mehr nach dem Motto, ist es besser, zu behandeln, oder nicht. Es gibt nur noch, welches Medikament oder welche Operation ist besser.