The less care they give - the more money they make: Verkauf der Versicherten und ihrer medizinischen Daten als "Integrierte Versorgung"?
Populationsorientierte integrierte Versorgung
Die Zukunft der Gesundheitsversorgung soll die "populationsorientierte integrierte Versorgung" sein. Es geht um alle Versicherten ganzer PLZ-Regionen, oder um Großgruppen, wie alle Dialyse-Patienten eines Bundeslandes. Ihre Versorgung soll komplett von einem Klinikkonzern, oder einer Management-Gesellschaft übernommen werden. Die bekommt von einer Krankenkasse, oder von einem Verband von Kassen den Auftrag dazu. Den Auftrag bekommt, wer verspricht, es billiger zu machen als jetzt. Der Auftragnehmer der "Integrierten Versorgung", also der Klinikkonzern oder die Managementgesellschaft, darf sich die Ärzte und Krankenhäuser aussuchen, zu denen man gehen darf, als Patient in diesem Modell. Sie diktieren in diesem Verbund ihren "Leistungserbringern" die Bedingungen.
Für die "integrierte Versorgung" ist die Elektronische Gesundheitskarte (EGK) in doppelter Weise ein zentraler Baustein. Zum einen liefert sie die Information, zu welcher Versorgungsgruppe der jeweilige Patient gehört. Wem er sozusagen gehört, wo er behandelt werden darf, oder welche Zusatzversicherung jemand hat. Dazu dient das Versicherten-Stammdaten-Management, die erste und wichtigste Funktion der EGK. Zum anderen sind die gewünschten Kosten-Einsparungen nur möglich, wenn von vielen Seiten auf die Behandlungsinformationen zugegriffen werden kann. Klinikkonzerne und Management-Gesellschaften wollen die ambulante Behandlung mit Leitlinien steuern, und auf ihrer Grundlage: verbindlich qualitätssichern. Nur so können sie ihre Kostenziele erreichen und Verluste vermeiden. Ärzte werden teilweise ersetzt durch Telemetrie-Anwendungen (bei Herzproblemen) oder durch medizinische Callcenter (bei Bagatellerkrankungen). Das funktioniert nur, wenn der System-Betreiber einen umfassenden Zugriff auf die Behandlungsdaten hat.
Bisher ist die Teilnahme an diesen Programmen freiwillig. Die herkömmliche Behandlung findet parallel statt. So kann nachgewiesen werden, dass die integrierte Versorgung besser und billiger ist. Mit diesem Nachweis sind die Betreiber, und ihnen nahe stehende Forschungseinrichtungen intensiv befasst. Sie beweisen es, indem ihre richtlinien-gerechte Behandlung zur optimalen Behandlung erklärt wird. So dass jede andere Behandlung als ihre logischerweise entweder teurer, schlechter, oder beides ist. Sie kann dann aus Qualitätsgründen abgeschafft werden. Die Techniker Krankenkasse schreibt: "Die integrierte Versorgung ergänzt im Wesentlichen die Regelversorgung, wird aber zukünftig auch Teile der Regelversorgung ersetzen. Ihr Anteil wird steigen und durch technische Vernetzungen wie die Patientenakte werden Kooperation und Arbeitsteilung einen höheren Stellenwert bekommen." In der Szene der Krankenkassen und KVen finden zu dem Themenkreis mehrfach jährlich Tagungen und Kongresse statt. Es geht um Milliarden.
Die "Selektivverträge" der "integrierten Versorgung" werden durch die Krankenkassen und ihre Verbände abgeschlossen. Entscheidungen darüber trifft die Selbstverwaltung der Krankenkassen. Sie wird 2011 bei den Sozialwahlen gewählt. Wir kandidieren bei der TK und brauchen 2000 Unterschriften bis 18.11.2010, um zur Wahl zugelassen zu werden. Wir sind nicht prinzipielle Gegner der Integrierten Versorgung. Allerdings meinen wir, dass man kritisch darüber nachdenken sollte, ob die Einbußen beim Schutz der Patientendaten wirklich durch Vorteile bei der Behandlung aufgewogen werden. Bisher sind wir die Einzigen, die das tun. Wir würden auch bei weiteren Kassen kandidieren, wenn wir die Unterschriften schnell zusammen haben. Bisher haben wir 50. ( http://www.FreieListeMueller.de ).
Quellen
Wichtige Hinweise gibt es im Buch von Renate Hartwig, "Der verkaufte Patient", München 2008, Seite 242 - 248, über die Ideengeber für diese Versorgungsform aus den USA, Kaiser Permanente.
Die meisten Informationen bekommt man durch eine Tagung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung im März 2010. Informationen gibt es hier: http://www.kbv.de/25657.html und dort: http://www.optimedis.de/aktuelles/119-kbv-messe-2010-programm-und-vortraege . Wichtiges Modellprojekt der Integrierten Versorgung ist das Projekt "Gesundes Kinzigtal", das im Juni 2011 bei Rösler zu Besuch war: http://www.gesundes-kinzigtal.de/ Betrieben von der OptiMedis AG, siehe hier: http://www.optimedis.de/beteiligungen/gesundes-kinzigtal Interessant ist auch eine Präsentation von der Techniker Krankenkasse zur Integrierten Versorgung: http://www.frauengesundheit-online.de/de/index.php?lia_page=newspdf&id=311
Rechtsgrundlage für die Integrierte Versorgung sind die §§ 140a - 140d SGB V. Die Managementgesellschaften stützen ihre Tätigkeit auf § 140b Abs. 1 Nr. 4 SGB V. Das Gesetz ist am besten dort zu finden: http://www.bundesrecht.juris.de/sgb_5/
Weitere Hintergründe, und die Parallelen zu Stuttgart21
Bei den Klinikkonzernen herrscht Goldgräberstimmung. Zwar organisieren sich z.B. in Marburg die Geschädigten der Privatisierung - Patienten und Versicherte - und dokumentieren die Verschlechterung der Behandlung in der Initiative "Notruf 113" ( http://notruf113.blog.de/ ), seit dem Verkauf ihrer städtischen Klinik an den Konzern "Rhön-Klinikum". Doch Rhön-Kliniken, Asklepios & Co. haben die Krankenhauslandschaft weit gehend eingekauft, sie sind längst dabei, in die ambulante Versorgung einzusteigen. Sie übernehmen die Mehrheit an "Medizinischen Versorgungszentren" (MVZ), in denen Fach- und Allgemeinärzte tätig sind. Indem sie die Patienten zwischen den ihnen gehörenden Ärztezentren und Krankenhäusern hin und her überweisen, können sie ihren Anteil am Kuchen steigern.
"Je weniger Fürsorge sie geben - desto mehr verdienen sie", mit diesen Worten hat der Präsidentenberater Ehrlichman 1971 den US-Präsidenten Richard Nixon vor der Privatisierung von Gesundheitsleistungen gewarnt. Umsonst. (http://en.wikisource.org/wiki/Transcript_of_taped_conversation_between_President_Richard_Nixon_and_John_D._Ehrlichman_(1971)_that_led_to_the_HMO_act_of_1973: ). Die Folgen dauern bis heute. Gesundheitskosten in den USA sind doppelt so hoch wie bei uns, die Qualität bedeutend schlechter. In diese Richtung geht bei uns die Entwicklung. Es geht darum, Möglichkeiten der Geldanlage zu erschliessen. Es gibt weltweit sehr viel Geld, und zu wenig Kapitalanlagen. Wenn man Patienten und ihre Daten an Klinik- und Managementunternehmen verkaufen kann, hat man Möglichkeiten für grössere Investitionen geschaffen.
Insofern sehe ich gewisse Parallelen zwischen Stuttgart21 einerseits, und der Integrierten Versorgung samt EGK andererseits.