Gesundheitspolitik und Elektronische Gesundheitskarte (EGK)

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Zuerst mal klären wir, welche Bedeutung das Thema „Gesundheitspolitik“ bei der eGK überhaupt hat. Man liest nichts über politische Hintergründe des Einsatzes von Aspirin. Wenn es keine andere plausible Möglichkeit gäbe, Menschen gesund zu machen, als mit der eGK, wäre Politik nicht weiter interessant für das Thema. Ist sie aber. Weltweit gibt es solche medizinischen Chipkarten bisher nur

  • entweder in Ländern mit eigener, starker Chipkartenindustrie (Deutschland, Frankreich),
  • oder in kleinen Ländern mit erheblichen Korruptionsproblemen (Taiwan, Slowakei, Österreich).

Um dann die politischen Dimensionen der eGK zu verstehen, untersuchen wir nacheinander die Interessengruppen, die durch das Projekt gewinnen oder verlieren werden. Die daher die Entwicklung des Projekts bestimmen.


Die Vorgeschichte. Warum ist Gesundheitspolitik bei dem Thema überhaupt relevant.

Die Technologie intelligenter Chipkarten wurde in den 1970er Jahren entwickelt. Damals wurde ihnen eine große Zukunft vorausgesagt, unter anderem von der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD), einer damaligen staatlichen Großforschungseinrichtung . Ermöglicht die Technologie doch, dass jemand einen Computer im Scheckkartenformat immer dabei hat. Damit könnten vor allem Ressourcen personenbezogen dynamisch verwaltet werden, (zum Beispiel Rechte zu Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Parkhausbesuche, Arbeitszeiten oder eben auch Arztbesuche), und: Ees könnten Informationen zu einer Person dort, wo diese Person gerade ist, sofort abrufbar sein. Im Jahrzehnt von 1978 bis zur Zeit der Planung und gesetzlichen Einführung der jetzigen Krankenversicherten-Chipkarte, 1988, hatte niemand mit der Entwicklung der Datennetze gerechnet, die mittlerweile stattgefunden hat. Es war die Zeit der Modems und Akustikkoppler. Da schien es sensationell, Daten „an der Person“ sofort greifbar zu haben, deren Übertragung undenkbar war. So war damals die Vision, entsprechend wurde investiert. Siemens & Co. haben in die Technologie intelligenter Chipkarten viele Millionen gesteckt und besitzen Schlüsselpatente dafür. Es fehlt allerdings noch der richtig große Markt. Wenn die medizinische Chipkarte ein Welterfolg wird, könnten deutsche Firmen sich eine goldene Nase verdienen. Wenn.

Der erste Schritt dazu war bereits die Einführung der jetzigen Krankenversichertenkarte (KVK), geplant 1988, umgesetzt bis 1995. Sie ist bereits eine Chipkarte. Für ihre Befürworter und Hersteller, wie Siemens, sollte schon sie der Einstieg in eine neue Welt sein, in der Wahltarife, Routineuntersuchungenm, Zusatzleistungen, Befunde und Gesundheitsrisiken auf der Karte festgehalten werden. Die Krankenkassen waren damals begeistert davon, gründeten und finanzierten zur Unterstützung eine „Projektgruppe Krankenversichertenkarte“, die umfangreiche Vorstudien erstellte. Das ganze scheiterte aber am Datenschutz, der 1993 dafür sorgte, dass die Erweiterbarkeit der Lesegeräte in den Arztpraxen auf das reduziert wurde, was damals im Gesetz stand: maschinenlesbare Schlüssel für Abrechnungsdaten bereit zu stellen. Mehr durften diese Geräte aus Datenschutzgründen nicht können. Sodass sie jetzt ausgewechselt werden müssen, wenn die eGK kommt. Schon die Ausgabe dieser jetzigen Karte hat hunderte Millionen gekostet und der IT-Industrie gute Geschäfte beschert. Gerechtfertigt wurde das mit späteren, nur durch sie möglichen Kosteneinsparungen. Die Kosten sind anschliessend weiter gestiegen. Es hat nach 1995 nie eine Untersuchung gegeben, ob die KVK irgendwie zur Kostenreduzierung beigetragen hat. Nach der Ausgabe der Karte stellte niemand mehr Fragen. Bis heute nicht. Obwohl die Auswertung doch lehrreich sein müsste, falls Kosten/Nutzen- Überlegungen bei so einem Projekt wichtig wären.

Durch das Internet und Breitband-Verkabelung können meistens schon jetzt über das Netz weitaus mehr Informationen über eine Person dort bereitgestellt werden, wo man sie haben will, als auf die größten Chipkarten passen. Nach der Glasfaser-Verkabelung wird das Standard sein. Daher ist das Projekt umgestellt worden: die eGK soll nicht mehr in erster Linie Transportmittel für Daten sein. Aber wozu dann eine intelligente Chipkarte?

Man braucht jetzt noch ein Mittel, um eine Person an Ort und Stelle zweifelsfrei zu identifizieren und einen maschinenlesbaren Schlüssel bereitzustellen. Die Identifikation dient dazu, festzustellen, dass die Person, die einen Schlüssel vorzeigt, auch die Person ist, für die er bestimmt ist. Den Schlüssel, wie etwa die Versichertennummer, brauchen Datenverarbeiter, um Informationen zuzuordnen. Alles andere – auch die Verwaltung der Zugriffsrechte auf die Informationen - kann besser im Netz gespeichert werden, das muss es auch, denn die Karte kann verloren gehen.

Nach der Authentisierung könnte man alles weitere – egal was – über das Netz machen, wenn es denn gewollt ist. Bei IT-Firmen und Banken haben Mitarbeiter mit entsprechender Berechtigung nur ein Token, ein kleines Stück Elektronik, das jedes mal eine andere Nummer ausgibt, wenn man draufdrückt. Es kostet weniger als einen Euro. Damit und mit ihrem Passwort loggen sie sich über das Internet ins Firmennetz ein, sie haben sich damit authentifiziert, werden autorisiert, und sofort greift ihre komplexe Rechte-Verwaltung, man hat Zugriff zu vertraulichen Informationen, und zwar von jedem Internet-Rechner, bestens abgesichert. Man braucht dafür nicht mal ein Chipkarten-Lesegerät. Wenn aber zufällig Chipkarten-Lesegeräte da sind: 2010 kommt der Bundespersonalausweis als Chipkarte, extra geschaffen für Authentifizierung. Den darf, nach einer Registrierung, jeder nutzen, der seine Leute authentifizieren möchte. Auch das Gesundheitssystem könnte den elektronischen Personalausweis nutzen. Natürlich verkaufen die Chipkarten-Hersteller lieber 120 Millionen Chipkarten als 60 Millionen.

Sodass der Datenverarbeiter sich fragt: „Was soll das Ganze? Gebt jedem Bürger einen Token, wenn es denn sein soll. Oder noch besser: Jeder speichert seine Daten auf seinem eigenen USB-Stick“. Der Chaos Computer Club und die Piratenpartei, die politischen Organisationen mit dem höchsten Anteil von IT-Profis unter ihren Mitgleidern, gehören zu den Gegnern der eGK. In der Tat: Ohne Politik ist das Ganze nicht zu verstehen.

IT- Industrie und ihre Interessen

Die eGK ist mindestens ebenso ein industriepolitisches wie ein gesundheitspolitisches Projekt. Nach dem Gesetz (SGB V.) hätte sie spätestens am 1.1.2006 eingeführt werden müssen. Wenn sie dringend gebraucht würde von jemandem, müsste der sich in den letzten Jahren öffentlich beschwert haben, dass sie noch nicht da ist. Massiv beschwert haben sich weder Patienten- noch Ärzte-, Krankenhaus- oder Apothekenvertreter. Die privaten Krankenkassen machen bei der eGK nicht mit. Den am besten verdienenden 15 % der Bürger bleibt die Karte erspart. Das wäre sicher anders, wenn die Überzeugung weit verbreitet wäre, die Karte brächte den Patienten Vorteile. Dann hätte sich die private Versicherung längst an die Spitze gestellt. Selbst die gesetzlichen Krankenkassen, die zu den eifrigsten Verfechtern der eGK gehören, verhielten sich relativ ruhig.

Heftig beschwert hat sich die IT-Industrie. Der Industrieverband BITKOM argumentierte, seine Mitglieder hätten erhebliche Beträge in das Projekt gesteckt, könnten deshalb jetzt auch erwarten, dass es umgehend umgesetzt würde. Das ist vollständig richtig und plausibel. Man kann die eGK als Versuch verstehen, eine Technologie, bei der sich Deutschland führend sieht, durch ihre flächendeckende Einführung voranzubringen. In der Tradition der Autobahnmaut. Das Projekt soll aus Krankenkassenbeiträgen bezahlt werden.

Mindestens zwei Milliarden Euro soll es offiziell kosten. Selbst unter günstigsten Bedingungen rentiert die Karte sich erst nach frühestens fünf Jahren. Zu diesem Ergebnis kamen nicht Kritiker, sondern die Unternehmensberatung Booz, Allen, Hamilton, die im Auftrag der Gematik GmbH eine Kosten-Nutzen-Analyse der eGK angefertigt hat. Die Gematik ist für die Einführung der eGK geschaffen worden und steht unter Aufsicht des Gesundheitsministeriums. Nach Ansicht ihrer Befürworter rentiert sich die eGK frühestens nach fünf Jahren, laut der Studie aber vermutlich später, nach zehn Jahren. Die Studie wurde von der Gematik nie veröffentlicht. Sie ist dem Chaos Computer Club zugespielt worden und auf dessen Internetseiten abrufbar . Man weiß, was von den ersten Kostenschätzungen solcher Projekte zu halten ist. Mittlerweile ist von bis zu zehn Milliarden die Rede, also doppelt so viel Geld wie in der Schätzung der Berater. Es gibt bislang nur in Randbereichen international eine Nachfrage nach intelligenten Chipkarten in der Medizin. Ohne gesetzliche Benutzungspflicht hätte diese Technologie nicht annähernd eine Chance zu den Millionen-Stückzahlen, die es nach dem Gesetz geben soll. Der Gematik dürfte klar sein, dass nach dem Rollout genauso wenig nach der Rentabilität gefragt werden wird, wie das nach dem Rollout der heutigen Karte der Fall war. Augen zu, und durch!

Ein erster Schritt zum Verständnis der eGK ist, dass zwei Milliarden Euro Versicherungsbeiträge, die ansonsten ihren Weg zu Ärzten, Krankenschwestern, Apotheken und Pharmafirmen finden würden, erst mal an IT-Unternehmen und ihre Beschäftigten gehen sollen. Eine Beitragserhöhung zur Finanzierung der eGK ist nicht geplant. Man wird das Geld bei den Behandlungen einsparen, nicht durch die Karte selbst (das kommt ja frühestens nach 5 Jahren), sondern zunächst durch die üblichen gesetzlichen Einschränkungen.

Krankenkassen-Interessen

Bisher sind die Krankenkassen in unserem Gesundheitssystem kaum mehr als Zahlstellen. Sie ziehen bei den Arbeitgebern die Beiträge ein und überweisen sie entsprechend der Abrechnungen an die Krankenhäuser und Ärzteverbände. Inhaltlichen Einfluss auf die Behandlungen haben die Kassen wenig, auch nicht darauf, wer ihre Patienten behandeln darf und wer nicht. Diese Ohnmacht der Krankenkassen ist ein großer Erfolg der Ärzteorganisation „Hartmannbund“, erzielt gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Im Windschatten haben auch die Apotheker ein komfortables Plätzchen erreicht: es gibt in Deutschland im internationalen Vergleich die höchste Apothekendichte.

Das eGK- Projekt ist Teil einer über die Jahrzehnte gewachsenen Struktur im deutschen Gesundheitswesen, der Verbandsmacht. In Krankenkassen und Ärzteverbänden arbeiten zehntausende Menschen, darunter viele gut bezahlte Funktionäre, die alle sehr wichtig sind, als Hüter und Organisatoren der Volksgesundheit. Dazu kommen ein paar hundert Wissenschaftler sowie viele tausend IT-Mitarbeiter. Krankenkassen, Kassenärztliche Vereinigungen, Apotheken-Rechenzentren verbrauchen jährlich hunderte Millionen Euro, darunter einige dutzend Millionen für Informationstechnik. Ihr Selbsterhaltungstrieb braucht neue Projekte, um sich zu rechtfertigen, gerade in unserer Zeit, wo der Gesundheitsaufwand durch die älter werdende Bevölkerung steigt, aber die Beiträge konstant bleiben sollen. Dass aus Sorge um preiswerte Gesundheit der Massen ständig neue IT-Projekte durchgezogen werden, wird von ihren Befürwortern völlig ehrlich als dringend angesehen. Wer kommt sich schon selber überflüssig vor. Mehr Geld für IT, um mit weniger Geld mehr Gesundheit zu produzieren, das ist die magische Idee, die hinter der eGK steckt.

Die Verbandsmacht führt dazu, dass Ärzte über immer neue Nachweise fluchen, die sie liefern müssen, während die Patienten im Unklaren darüber gelassen werden, warum sie heute so behandelt werden und dies bezahlen müssen, morgen wieder anders, warum ihnen der Arzt neuerdings Mittelchen empfiehlt, die sie selber bezahlen müssen, heute dies Medikament verschreibt, morgen ein neues.

Dass bei uns die Ärzte von den Krankenkassen bezahlt werden und nicht von den Patienten selbst, wird neuerdings von einigen wirtschaftsorientierten Politikern unterstützt. Fachleute, die aus den USA nach Deutschland kommen, arbeiten hier für weniger Geld, wegen niedrigerer Gesundheitskosten. Das ist ein Vorteil im internationalen Wettbewerb. Zentralisierung der Nachfrage bei den Krankenkassen hat die Marktmacht gegenüber den Ärzten verstärkt. Sie half, deren Preise zu drücken, so dass die Behandlungen hier billiger sind. Nach Meinung führender Gesundheitsökonomen, wie Lauterbach, schlummern aber noch erhebliche Reserven. Schließlich verdient bei uns ein Arzt durchschnittlich mehr als doppelt so viel wie ein Lehrer, in anderen Ländern mit vergleichbarer Lebenserwartung ist das anders. Die Politik will die Krankenkassen mehr tun lassen als jetzt und die Ärzte in mehrere, gegenseitig sich unterbietende Gruppen aufspalten. Z.B. in Hausärzte und Fachärzte. Und die Konkurrenz der Krankenhäuser ausnutzen. Während die Krankenkassen als einheitlicher Nachfrageblock auftreten. Siehe Gesundheitsfonds. So könnte man, das ist die große Hoffnung, bei einigermaßen erträglicher Qualität die Gesundheitskosten stabil halten. Zulasten der im Gesundheitswesen Arbeitenden. Trotz alternder Bevölkerung und immer mehr Medizin.

Aus Sicht der Kassen ist es dabei ein großer Nachteil, dass alle PatientInnen unter allen Ärzten und Krankenhäusern wählen können. So kriegt man die Behandlungskosten nicht runter, weil man Anbieter nicht gegeneinander ausspielen kann. Die Möglichkeit der Krankenkassen, solche Sonderverträge zu vereinbaren, steht schon im Gesetz.

Dazu wird ein Medium gebraucht, mit dem unterschiedliche Tarife der gesetzlich versicherten Patienten in der Arztpraxis sofort und sicher festgestellt werden. Sodass jemand, der nicht den richtigen Tarif hat, schon am Empfangstresen der Arztpraxis um Barzahlung gebeten oder nach Hause geschickt wird. Und das schien mit der eGK gefunden.


Hausarztmodell

Erstes Anwendungsfeld ist das Hausarztmodell, das gleichzeitig mit der eGK kommen soll, dieses ist schon im Gesetz geregelt . Es handelt sich um ein Angebot der Krankenkassen an die Versicherten, vereinbart mit einer Gruppe von Hausärzten. Wenn die Patienten bereit sind, nur nach Verordnung durch „ihren“ am Programm teilnehmenden Hausarzt zum Facharzt zu gehen, kriegen sie einen günstigeren Beitragssatz oder brauchen wenigstens keine Praxisgebühr zu zahlen. Diesen Hausarzt müssen sie für längere Zeit festlegen. Das wird entweder auf der Karte vermerkt oder, nach dem Einloggen damit, dem Arzt vom Zentralcomputer zurückgemeldet. So dass andere Hausärzte, oder Fachärzte, zu denen die Patientin ohne Überweisung geht, rotes Licht bekommen, sie nach Hause schicken oder nur gegen Cash behandeln dürfen. Die mitmachenden Hausärzte kriegen dafür mehr Geld als vorher, denn wenn niemand ohne ihre Erlaubnis zum Facharzt kann, wird unterm Strich so viel gespart, dass sie und die Patienten daraus einen Bonus erhalten können und noch Geld bei der Kasse hängen bleibt. Zu den Bedingungen, unter denen ein Hausarzt mitmachen darf, gehört natürlich, dass er nicht alle Wünsche der Patienten erfüllt. Darüber wachen die Krankenkassen, die so zusätzliche Aufgaben und mehr Geld für ihre Verwaltung bekommen und endlich aus ihrem Dornröschenschlaf als Zahlstelle aufwachen dürfen.

Ähnlich funktionieren die DMPs, "Disease Management Programme", etwa für Diabetes oder Brustkrebs. Bei ihnen behandelt der Arzt unter dem wachseman Auge der Krankenkasse und mit intensivem Datenaustausch.

Selbstverständliche wären solche Modelle auch mit anderen Medien umsetzbar, z.B. mit dem Bundespersonalausweis. Aber man hat sich bei den Kassen auf die eGK konzentriert, eine Änderung würde ihre Projekte verzögern. Die Utopien der Krankenkassen haben sich mit der eGK verbunden, deshalb muss aus Sicht der Kassen die eGK irgendwann kommen.

Baden-Württemberg ist das erste Bundesland, in dem das Hausarztmodell eingeführt wurde. Dort müssen die Hausärzte erheblich mehr Informationen über ihre Behandlungen an die Krankenkassen liefern, als bisher, sie sind verpflichtet, sich hinsichtlich ihrer Behandlungen umfangreich beraten zu lassen, und können aus dem Modell gefeuert werden, wenn sie die Qualitäts-Vorgaben nicht einhalten. Wegen dieser Datenflüsse, die über den jetzigen Stand bei der KVK weit hinausgehen, hat der Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, Ärzte und Patienten zum Boykott des Hausarztmodells aufgerufen.

Die IT-Organisation bei diesem Hausarztmodell übernahm übrigens die Firma Intercomponentware, (die auch schon das Konzept "Bit4Health" für die Telematik-Infrastruktur mit erstellt hat, und deren Hauptinvestor Dietmar Hopp heißt.) Sie hat zeitweise sogar eigene Chipkarten ausgegeben.

Ärzte-Interessen

Die Standesorganisation „Freie Ärzteschaft“ läuft genau wegen des Hausarztmodells Sturm gegen die eGK, denn man hatte sich doch eigentlich das Gegenteil davon versprochen. Nämlich den Versicherten mit Zuwahl-Tarif, auch auf der Karte vermerkt, der einige Prozente mehr an die Kasse zahlt, die Kasse dafür auch an den Arzt. Stattdessen macht die Politik es jetzt umgekehrt! Bei den Ärzten ist längst angekommen, dass sich das Projekt gegen sie richtet.

Daher ist die Mehrheit der Ärzteschaft extrem kritisch eingestellt, sichtbar an massiven Protest-Resolutionen auf Ärztetagen. Man kann zwei Gruppierungen unterscheiden.

Eine Gruppierung trägt das Bündnis „Stoppt die e-card“ und hat in den Wartezimmern schon Hhunderttausende Unterschriften gegen die Karte gesammelt. Die Ablehnungsfront setzt sich zusammen aus sozial engagierten Ärzten, zum Beispiel der IPPNW (Ärzte zur Verhinderung eines Atomkriegs), Anthroposophen, Naturheilkundlern, kurz: Die traditionell linke Fraktion unter den Ärzten ist prinzipiell gegen die eGK. Dagegen ist aber auch die besonders rabiate Standesvertretung „Freie Ärzteschaft“, die mit allen Patienten privat abrechnen will. Beide Richtungen arbeiten in diesem Bündnis einträchtig zusammen und haben in mehreren Bundesländern, z.B. in Hamburg, unter den Ärzten die Mehrheit.

Die bundesweite, traditionalistische Mehrheit des Standes verfolgt eine andere Politik. Ihre Vertreter halten es für unpraktisch, gegen die eGK zu sein, vor allem weil mit SPD, CDU und Grünen alle möglichen Regierungsmehrheiten dafür sind. Die eGK steht schon im Gesetz, sie ließe sich deshalb nicht mehr verhindern. Daher ihre Politik: Befürwortung als Parole, aber zähe, hinhaltende Sabotage im Detail. Diese Gruppe verweist gegenüber Politikern gerne auf die erste Gruppe, um klarzumachen: Nnur wenn man ihre Bedenken ernst nimmt, hat die eGK bei den Ärzten auch nur den Hauch einer Chance.

Allerdings wäre die eGK mit Software-Updates erweiterbar, und das, ohne dass die Ärzte nach der Einführung noch einen publikumswirksamen Hebel zur Verhinderung in der Hand hätten. Wer demonstriert schon gegen ein Software-Update?

Hauptforderung der traditionalistischen Ärztefraktion war, dass die Umstellungs-Kosten für die neue Technik alleine von den Krankenkassen getragen werden. Menschlich verständlich, denn sie haben nichts von der Umstellung. Juristisch aber nicht nachvollziehbar, denn Ärzte sind Selbständige. Autozulieferer müssen die technischen Voraussetzungen, um mit VW oder Mercedes abzurechnen, auch selber bezahlen, obwohl die Technik nur den Herstellern nützt. Ihr Vorteil ist, dass sie überhaupt Aufträge bekommen, dafür müssen sie eben den Aufwand bringen. Diesen Vorteil, dass sie überhaupt behandeln „dürfen“, haben die Ärzte noch nicht verstanden, daher ihre Forderung. Die eGK soll Abrechnungs-Modelle ermöglichen, die genau dieses Verständnis bei den Ärzten herstellen: „Ich darf froh sein, Versicherte behandeln zu dürfen, dafür bringe ich, was die Kasse verlangt“. Verständlich, dass die Ärzte sich sträubten. Sie haben es bisher besser. Sie sträubten sich übrigens mit Erfolg! Eine der letzten Aktionen von Gesundheitsministerin Schmidt war eine Änderung des SGB V, wonach die Krankenkassen den Ärzten ihre gesamten Umstellungskosten und den Mehraufwand der eGK ersetzen müssen. Die Subventionen waren so lukrativ, dass danach die Ablehnungsfront der Ärzte gegen die eGK in Nordrhein-Westfalen weitgehend zusammengebrochen ist. Dort haben mittlerweile über 70 % der Arztpraxen eGK-Lesegeräte, vorher waren es nur 10 %.

Die Ärzte-Hardliner kritisieren jetzt, dass die Mehrheit der Ärzte Monetik vor Ethik setze, dass sie zugunsten kurzfristiger Vorteile ihre eigenen, strategischen finanziellen Interessen vernachlässige. Dr. Hermann Hartmann, vor 110 Jahren Begründer erfolgreicher ärztlicher Standespolitik, hat mit solchen Appellen seinerzeit viel Opferbereitschaft der Ärzte und in der Folge, gute finanzielle Bedingungen erreicht. Ob diese Erfolgsgeschichte wiederholbar ist, erscheint fraglich. Das ärztliche Standesbewusstsein ist nicht mehr, was es einmal war. Für ein paar Dollar mehr haben sich genug Hausärzte von den Kassen kaufen lassen, für ein paar Dollar mehr stellt man sich das Lesegerät in die Praxis und erduldet die Zeiten vor dem Terminal.


Kassenärztliche Vereinigungen (KVen)

Sämtliche Ärzte, die an der Versorgung der Kassenpatienten teilnehmen, sind in der Kassenärztlichen Vereinigung organisiert. Die Krankenkassen rechneten die ärztlichen Leistungen, vor Einführung des Hausarztmodells, nur mit dieser Organisation ab. Sie spielt bei der Einführung der eGK eine Schlüsselrolle, weil die Ärzte bisher mit den KVen elektronisch kommuniziert haben. Von dort werden die Standards für die Praxis-EDV der Ärztinnen und Ärzte gesetzt.

Auch bei den KVen haben mit der Zeit bürokratische Eigeninteressen ein immer größeres Gewicht bekommen, sind doch bei jeder KV mittlerweile Hhunderte Mitarbeiter beschäftigt. Es gibt dort auch Vorstandsposten mit Managergehältern und somit große Selbsterhaltungsinteressen. Die KVen stehen jetzt von zwei Seiten unter Beschuss. Von Seiten der Krankenkassen durch das Hausarztmodell und weitere geplante Modelle ähnlicher Art. Und von den radikalen Standespolitikern der Freien Ärzteschaft, weil sie die Abschaffung des Sachleistungsprinzips, die Direktabrechnung mit den Patienten und Krankenkassen, somit die Abschaffung der KVen fordern. Die Reaktion der KVen ist verständlich: Sie verbünden sich mit Krankenkassen und IT-Industrie, als die unentbehrlichen Abrechnungsdienstleister.

Inzwischen gibt es Initiativen kritischer Ärzte, ihre eigenen Leute in die KV-Gremien zu wählen. Wenn das passiert, könnte eine von der Branche selbst gesteuerte Gesundheits-Telematik vielleicht doch noch eine Chance bekommen.


Apotheken und Pharma-Industrie

Deutschland ist Sitz einiger weltweit bedeutender Pharma-Unternehmen, wie Bayer, Boehringer, Merck sowie Hoechst, letzteres jetzt Teil von Sanofi-Aventis. Ebenso wie die Autoindustrie steht Pharma traditionell unter dem besonderen Schutz der Politik. In Deutschland werden, im internationalen Vergleich, besonders viele, besonders teure Arzneimittel verschrieben, deutlich mehr als international üblich. Traditionell kämpfen CDU und FDP dafür, dass dies so bleibt.

Ein Erfolg in dieser Richtung ist die eGK. Bisher werden nämlich etwa 10 % der Rezepte, die die Ärzte ausstellen, von den Patienten einfach nicht eingelöst und weggeworfen. Apotheken und Pharmafirmen entgehen so erhebliche Umsätze. Die einzigen, die dies Verhalten der Patienten feststellen können, sind derzeit die Krankenkassen. Die haben aber keinerlei Interesse daran, die Patienten zur Einlösung der Rezepte anzuhalten. Deshalb tut es keiner.

Jetzt sollen die Rezepte, und ihre Einlösung in der Apotheke, in der Telematik-Infrastruktur gespeichert werden. Laut Spezifikation der eGK werden Verschreibungen erst nach ihrer Einlösung gelöscht, und stehen bis dahin Ärzten und Apotheken zur Einsicht offen. Damit kann der behandelnde Arzt beim nächsten Besuch sehen, dass seine Verschreibung nicht eingelöst wurde, und den Patienten zur Rede stellen. Der Apotheker kann, wenn der Versicherte doch mal ein Medikament abholt, alle alten, nicht abgeholten Verschreibungen sehen und fragen, ob der Versicherte nicht auch diese Mittelchen jetzt kaufen möchte.

Das elektronische Rezept sorgt für zusätzliche Einnahmen der Apotheken und Pharma-Unternehmen. Das führt aber nicht zur Erhöhung des Kassenbeitrags. Vor allem auch nicht beim Arbeitgeberanteil. Fast alle Medikamente müssen wir ja selbst bezahlen. Es zahlen also nur Patienten freiwillig mehr.

Perspektiven aus Patientensicht

Was auf den ersten Blick erstaunen mag, ist das Schweigen der Selbstverwaltung der Krankenkassen. Auf den Vertreterversammlungen der Ärzte wird stundenlang über die eGK diskutiert, und für die Mitarbeit der Ärzte werden Bedingungen gestellt, die kaum erfüllbar sind. Auch die Krankenkassen haben Parlamente. Alle sechs Jahre wählen wir die Selbstverwaltungen der Krankenkassen. Hat jemand im Zusammenhang mit der eGK irgendetwas aus einer dieser Versammlungen gehört?

Vermutlich nicht, denn dort sitzen teils Gewerkschafter, die eigentlich die Interessen der Beschäftigen der Kasse vertreten. Mehrheitlich sitzen dort aber Vereine, die mit klangvollen Namen wie „Gemeinschaft der XYZ-Versicherten“ erfolgreich die Sitzungsgelder von 50 EUR mit Beschlag belegen. Eigentlich eine lächerliche Summe, in Anbetracht der Verantwortung, bei den großen Kassen vergleichbar mit einem Aufsichtsratsjob bei SAP. Aber wenn man nichts tut, sind 50 EUR wohl verdient. Es gibt im Internet von keinem Mitglied der Selbstverwaltung der Kassen einen Rechenschaftsbericht über eingebrachte Vorschläge oder Kritik.

Eine neue Idee könnte sein, eigene Listen für diese Vertreterversammlungen aufzustellen, z.B. „Versichertenrechte und Datenschutz“, und für Transparenz und Datenschutz in den Krankenkassen einzutreten. Denn die Gestaltungsfreiheit der Krankenkassen soll erhöht werden. Das dürfte doch nur passieren, wenn auch die demokratische Kontrolle verstärkt wird. Bisher ist die nur eine Farce.