Verhandlung, Urteil, Kampagne beim ersten Prozess gegen Elektronische Gesundheitskarte

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Am Donnerstag, dem 28.06.2012 war vor dem Düsseldorfer Sozialgericht die Entscheidung erster Instanz im ersten Prozess gegen die Elektronische Gesundheitskarte (EGK). Dort habe ich den Kläger vertreten.

Mein Mandant Sven S. aus Wuppertal verlangt, medizinische Leistungen zu erhalten, ohne die Elektronische Gesundheitskarte benutzen zu müssen. Der erste Schritt zur neuen Elektronischen Gesundheitskarte ist, dass man von seiner Krankenkasse aufgefordert wird, ein Passbild einzusenden. Kläger Sven S. hatte zu einer kleinen Gruppe von Versicherten gehört, die diese Aufforderung schon vor zwei Jahren erhielt. Nach seiner Meinung verstößt das Gesetz, das die neue Karte vorsieht, gegen die Verfassung. Die "Telematik-Infrastruktur", durch die die Rechner in der Arztpraxis mit denen der Krankenkassen vernetzt werden, ist nach seiner Meinung mit seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht vereinbar. Sven S. meldete sich 2010 bei der Initiative "Stoppt die e-Card". Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, der FoeBud, die FIfF, die Liste Neuanfang und viele andere sind Teil dieser Initiative und unterstützen den Protest gegen die EGK. Einen Überblick über die Beteiligten und ihre Gründe findet man hier und in den dort verlinkten Dokumenten.


Zum Verfahren

Nur das Bundesverfassungsgericht kann die Verfassungswidrigkeit und Ungültigkeit des Gesetzes feststellen, das die Karte vorsieht. Dazu muss der Kläger den Weg über die Sozialgerichte hinter sich bringen. Das hat das Verfassungsgericht selbst so entschieden. Näheres dazu hier.

Das Sozialgericht Düsseldorf hat am 28.06.12 die Klage von Sven S. abgewiesen (Aktenzeichen war S 9 KR 111/09), so dass die erste Hürde auf dem Weg nach Karlsruhe überwunden ist. (Um Laien unsere "Niederlage" zu erklären, hilft vielleicht : folgender Hinweis aus Wikipedia, dort Ziffer 6c.) Nach Abschluss der nächsten Instanz kann Sven S. Verfassungsbeschwerde einlegen. Die Vorsitzende der 9. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf hat in ihrer mündlichen Urteilsbegründung vor allem darauf abgestellt, dass die EGK in der jetzt ausgerollten Form lediglich dasselbe könnte wie die Krankenversichertenkarte. Alles andere sei freiwillig und deshalb keine Gefahr für den Kläger.

Argumentation in der nächsten Instanz

Ich sehe folgende Angriffspunkte gegen die Argumentation der Richterin, die wir jetzt in die nächste Instanz einbringen können:

  1. Kopplung der Telematik-Infrastruktur mit den Rechnern in der Arztpraxis ist als solches ein Risiko, denn die Daten des Klägers werden auf jeden Fall im Rechner der Arztpraxis gespeichert und sind dadurch nicht sicher vor Zugriffen über das Internet oder aus der Telematik-Infrastruktur. Der Kläger hat nur durch Nichtbenutzung der EGK die Chance, die Speicherung seiner medizinischen Daten in dieser Infrastruktur zu verhindern.
  2. Die Pflicht der Ärzte, Diagnosen und Behandlungen so zu kodieren, dass sie für elektronische Gesundheitsakten und Elektronische Arztbriefe verwendbar sind, beeinflusst auch die Behandlung der Versicherten, die diese Anwendungen nicht nutzen. Der Kläger hat nur bei Nichtbenutzung der EGK die Chance, eine individuelle Dokumentation seiner Behandlung zu erhalten, die nicht durch Vorgaben der Gematik GmbH beeinflusst ist.
  3. Zum Stammdatenmanagement, das sofort eingeführt wird, gehört auch die Übertragung von medizinischen Daten, nämlich Informationen, ob man ggf in sogenannten Chronikerprogrammen für Diabetes oder Brustkrebs ist. Dass diese Informationen heute, offen lesbar, auf den Krankenversichertenkarten (KVK) stehen, ist ein Argument gegen diese KVK, aber keines für die EGK. Diese Daten werden bei Benutzung der EGK über eine unsichere Infrastruktur übertragen.
  4. Die Information, ob ich eine Gesundheitsakte habe oder nicht, und ob ich sie sperre oder nicht, soll nach heutiger Rechtslage auf der EGK stehen, und allein das gefährdet das Vertrauensverhältnis Patient-Arzt. Es ist dem Kläger nicht zuzumuten, in dem Moment zu klagen, wo diese Anwendung in Betrieb genommen wird, denn dann kann er sich vor diesen Auswirkungen nicht mehr schützen.
  5. Dasselbe gilt für das elektronische Rezept. Es ist nicht vorgeschrieben, dass Apotheker nur die Medikamenten-Verschreibungen sehen, die der Versicherte ihnen zeigen will. Es ist auch nicht vorgeschrieben, dass der Arzt nicht sehen darf, ob der Versicherte die verschriebenen Medikamente abgeholt hat oder nicht. Mit Einführung des elektronischen Rezepts wäre dieser Datenschutz zwischen verschiedenen Leistugnserbringern sofort aufgehoben. Es ist dem Kläger nicht zuzumuten, erst zu warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist.

Auch damit werden wir zu 99 % unterliegen, aber dann gehts zum BVerfG. Das ganze hat seinen Sinn als Teil einer politischen Kampagne.


Berufung oder Sprungrevision

Gegen die erstinstanzliche Gerichtsentscheidung sind alternativ zwei Rechtsmittel möglich, die Berufung zum Landessozialgericht in Essen, oder die Sprungrevision zum Bundessozialgericht, Kassel. Letztere wäre nur gemeinsam mit der Gegenseite möglich. Ich hatte ein kurzes Gespräch mit den Vertretern der Bergischen Krankenkasse, in dem die andeuteten, eventuell mitzumachen, falls der Kläger diesen Weg für besser hält und wir uns mit diesem Vorschlag an sie wenden. Wir müssen erstmal die Zustellung des erstinstanzlichen Urteils abwarten.

Bemerkenswert war, dass die Vorsitzende Frau Dr. Hagemann in der mündlichen Urteilsbegründung ausführlich auf die §§ 13 und 15 SGB V. eingegangen ist. Man konnte die Richterin so verstehen, dass der Kläger auch die Möglichkeit hätte, anstatt mit der EGK, mit Berechtigungsscheinen ärztliche Versorgung zu bekommen, die er jedes Quartal von seiner Krankenkasse abholen müsste. Wenn wir größeren Wert darauf legen, dass die Versicherten dieses Recht haben: Ausstellung von Krankenscheinen statt EGK, dann könnte es sinnvoll sei, nach Kassel zu gehen, und dort genau um dieses Recht zu streiten. Deswegen möchte ich rechtzeitig vorher geklärt bekommen: wollen wir das? Ist das der Weg für unseren Protest? Man kann gut begründen, lieber nach Essen zu gehen: neue Aktivitäten der Gematik nach dem 28.06.12 können wir nur dann noch ins Verfahren einbringen. Aber es wird weitere Kläger geben, die das noch tun können.

Wenn jemand etwas ganz furchtbar schlimm findet, ist bei demjenigen oder derjenigen einiger Aufwand zu erwarten und auch zuzumuten, um das Furchtbare zu vermeiden oder zu verhindern. Wenn dagegen etwas gar nicht schlimm ist, sondern eigentlich harmlos, dann wird diejenige, oder derjenige nicht über eine Unterschrift auf einer Unterschriftenliste hinaus gehen. Wird aber dann mit seinem Protest auch nicht so ernst genommen. Wenn ich mal von mir ausgehe. Ich hätte gar keinen Stress damit, jedes Quartal zur TK zu gehen und meinen Behandlungsschein dort abzuholen, statt die EGK zu benutzen. Mein Traum wäre, dass das ein paar tausend Leute machen. Das wäre Sand im Getriebe in schönster Form. Schaffen wir den Schritt zu so viel Eigenaktivität? Ich möchte, dass wir das innerhalb der nächsten Wochen klären. In ca. sechs Wochen möchte ich das Ergebnis wissen! Denn dann müssen wir wissen, ob wir nach Kassel oder nach Essen wollen.


Blinde Flecken der Rechtswissenschaft

Der juristische Standpunkt oben ist ein ganz beschränkter. Das Hauptargument gegen die EGK ist eigentlich, dass die Karte für ihre Befürworter (vor allem Krankenkassen) nur sinnvoll ist, wenn die Elektronische GesundheitsAKTE kommt. Nach Berechnungen von Unternehmensberatungen wird die Karte allenfalls dann rentabel, wenn die elektronische GesundheitsAKTE von dutzenden Millionen Menschen genutzt wird. Erstens wird das diskriminierungsfrei und freiwillig nicht passieren, man darf davon ausgehen, dass das Gesetz in dem Punkt noch geändert wird. Zweitens ist eine auch nur halbwegs ungefährliche Übertragung und Speicherung dieser kritischen Massendaten nicht anzunehmen. Drittens ist das Ziel Rationierung und Kontrolle. Rechtlich lässt sich das heute schlecht einbringen. Nach dem jetzigen Gesetz ist die Akte freiwillig, es gibt ein Diskriminierungsverbot für Nichtbenutzer der Akte, der Zeitpunkt der Einführung von elektronischen GesundheitsAKTEN steht in den Sternen, Details über sie sind nicht veröffentlicht. Aber um sie einzuführen, ist kein weiterer Verwaltungsakt erforderlich, deswegen muss man sie schon jetzt attackieren.

Man muss wissen, dass in Deutschland Politik mehr über Recht und Gerichte läuft, als in jedem anderen Land der Welt. Den von der Polizei niedergeknüppelten Deutschen schmerzen Hämatome oder Knochenbrüche kaum, viel mehr schmerzt ihn sein verletztes Recht auf körperliche Unversehrtheit. Der große Tag der deutschen Bürgerrechtler ist nicht, wenn ihre Partei die Wahl gewinnt, oder wenn die Bürgerrechtler nach einer erfolgreichen Revolution die Regierung stellen. Der große Tag der deutschen Bürgerrechtler ist, wenn das höchste Gericht ihnen Recht gibt. Entsprechend diesen nationalen Idealen funktioniert das System. Über unseren Prozess letzten Donnerstag berichteten die Massenmedien mehr, als zuvor über jede andere Aktivität der Initiative "Stoppt die E-Card". Über mich persönlich schrieben und sendeten sie in einer Woche mehr als über die Vorsitzende der Initiative, Dr. Silke Lüder, in Jahren, obwohl ihre Verdienste um die Sache durchgehend seit mindestens 5 Jahren die meinen erheblich übersteigen.


Verbindung von Prozess und Kampagne

Das war vorauszusehen. Seit drei Monaten habe ich versucht zu erreichen, dass das Bündnis "Stoppt die E-Card" aus Anlass des Prozesses die Message in die Medien bringt: "Es gibt jetzt MASSENprotest gegen die EGK. Hunderte Leute verweigern ihre Fotos, ein Dutzend widersprechen oder klagen dagegen. (Das ist so.) Macht alle mit. Hier werdet Ihr runterstützt: .... " Schön wärs gewesen. Auch mit gut besetzten Bündnisgesprächen war das in drei Monaten nicht zu schaffen.

Die gewünschte Kampagne hätten wir bekanntgeben können, wenn ich sie rechtzeitig mit einer Handvoll Aktivisten selbst aus dem Boden gestampft hätte. Es wäre die einzige Möglichkeit, das weiß ich jetzt. Ein Vehikel dafür gibt es, nämlich den "Neuanfang eV", der eigentlich nur gegründet wurde, um bei Sozialwahlen antreten zu können. Daraus kann man eine Plattform für schnelle und aktive Leute machen. Sofern wir denn gewinnen wollen. Es sollte möglich sein, die elektronische GesundheitsAKTE zu einem zentralen Datenschutzthema zu machen. Dafür bräuchten wir neue Methoden und vielleicht auch neue Leute. Das ist die Aufgabe, die ich mir jetzt stelle.

Der nächste öffentlichkeitswirksame Meilenstein wird sein, wenn wir das Rechtsmittel gegen das erstinstanzliche Urteil einlegen. Dann können wir noch mal eine Presseerklärung herausgeben. Darin muss stehen, dass diese Protestwelle läuft. Zeitpunkt dieses Meilensteins wird voraussichtlich Anfang September sein. Diesen Meilenstein sollten wir noch besser nutzen als den vorigen.

Ein erster Schritt dazu ist, die diversen Mailinglisten und Email-Verteiler zum Thema intensiver zu versorgen. Folgende Mailinglisten zum Thema EGK existieren heute:

We sich den Spaß gönnen will, mitzumachen, sollte mindestens eine davon abonnieren.