Fiktive Rede eines Programmierers an den Deutschen Ärztetag

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Entstehung

Aus einer Mail an eine bei EGK-Gegnern relativ bekannte Ärztin

Gestern habe ich mir überlegt, mit welchen Argumenten ich auf dem Ärztetag die Krankenhausärzte überzeugen würde. Nicht als Arzt, sondern als Programmierer, der sich an Ärzte wendet. Du findest meine Argumente als Anlage. Vielleicht könnt Ihr was damit anfangen. Ich glaub für Dich passen die Argumente nicht, aber Ihr werdet ja eine ganze Fraktion haben mit mehreren Beiträgen, und vielleicht paßt das für einen davon.

LG Jan


Rede eines Programmierers an den Deutschen Ärztetag

Meine Damen und Herren,

Sie werden sich wundern, dass jemand, der sich täglich für Technik begeistert, gegen die elektronische Gesundheitskarte ist, und gegen die Telematik Infrastruktur nach jetzigem Stand. Die Erklärung: Das eine folgt aus dem andern. Wer gute Medizin liebt, haßt schlechte, wer gute Datenverarbeitung liebt, haßt schlechte. Die EGK ist schlechte Datenverarbeitung.

Was wäre eine gute Telematik-Infrastruktur. Das ist zum Beispiel eine, in der man mein Röntgenbild von Preetz nach Hamburg schicken kann. Beim Inline-Skaten an der Ostsee bin ich nämlich mal auf die Hüfte gefallen. Multiple Femurfraktur, das wird Ihnen was sagen. Gute Prognose bei schnellstmöglicher Reposition. Im Städtchen Preetz in der holsteinischen Schweiz wurde ich hervorragend zusammenmontiert, drei Wochen später war ich wieder in Hamburg. Mein Orthopäde wollte meine Preetzer Röntgenbilder haben. Es hat eine Woche gedauert. Das muss digital ja wohl schneller gehen.

Mit der jetzt geplanten Telematik Infrastruktur – geht das nicht! Das muß man sich mal vorstellen. Seit zehn Jahren kann man das als Anhang einer Email versenden, aber mit der tollen Infrastruktur der Gematik wird es in der absehbaren Zeit nicht gehen. Das steht so in der Spezifikation. Zitat: „Der Transport von großen Datenmengen ist durch die derzeitige rein nachrichtenbasierte Authentifizierung nicht umgesetzt, kann aber durch die Erweiterung der Sicherheitsarchitektur auf sessionbasierte anstatt nachrichtenorientierter Authentifizierungsmechanismen und eine Ergänzung der an der Perimetergrenze von Backend-Netz zu Frontend-Netz implementierten Sicherheitsservices, ermöglicht werden."

Die derzeitige nachrichtenbasierte Authentifizierung - das ist die halbe Spezifikation des Konnektors. Und der ist ein Kernelement. Das kann nicht mal eben geändert werden. Diese Änderung "kann ermöglicht werden". Man kann alles ändern in der IT. Jeder von uns hier hat doch schon mal in einen Bericht geschrieben, daß man irgendwann irgendwas ermöglichen kann. Das ist der heutige Stand! Als Befürworter des Projekts würde ich mich schämen jetzt!

Noch ein Beispiel. Letztens wurde ich zur Abklärung zum Kardiologen geschickt. Farbcodiertes Doppler-Echokardiogramm. Mein Herz live in Farbe. Das hätte ich gerne mitgenommen, damit der Arzt meines Vertrauens auch was davon hat. Ich hab immer einen USB Stick dabei. Geht nicht mit der Telematik-Infrastruktur, und hinschicken geht damit ja auch nicht. Das gemeinsame Betrachten meines Herzens mit meinem Hausarzt fällt die nächsten zehn Jahr flach, wenn es nach der Gematik geht.

Warum ist das so? Weil die ganze Architektur auf Verwaltungsanwendungen optimiert ist. Auf Genehmigungen, Authentifizierungen, und Abrechnungen. Es mußte ja alles in ein System rein. Wie beim Starfighter, der mußte ja auch alles können. Aber alles ist zu wenig. Genauso wie Menschen, die alles können, nichts richtig können, genauso ist es in der Technik.

Das wichtigste war: Die Krankenkassen wollen mit behandeln. Natürlich wollen auch die KVen ein bisschen mit behandeln. Bringt ja Geld und Jobs, für sie. Und die IT-Industrie wollte vor allem Chipkarten verkaufen. Chipkarten sind ja eine Verwaltungsanwendung. Wenn Netzanbieter, wie Colt und Telekom, bei der Spezifikation so viel Einfluß und Fach-Knowhow eingebracht hätten, wie die Chipkartenindustrie mit Siemens oder Giesecke & Devrient eingebracht hat, dann wäre was besseres herausgekommen. Aber im Gesundheitsbereich haben die Chipkartenleute bei der Politik das Sagen, dieses Ministerium gehört sozusagen ihnen. Deswegen mußte es das eine zentrale Projekt geben, bei dem alles über Chipkarten läuft.

Was muß jetzt passieren? Wir brauchen nicht ein großes Projekt, sondern drei kleine. Erstens, das Deutsche Medizinnetz. Zweitens, Standards für Verwaltungsanwendungen. Drittens, Standards für Anwendungen mit großen Datenmengen.

Die Medizin braucht so was wie das Deutsche Forschungsnetz. Ich zitiere jetzt, und Sie hören genau zu und ersetzen in Gedanken immer „Forschung“ und „Wissenschaft“ durch „Medizin“. Zitat: „Das Deutsche Forschungsnetz (DFN) ist das von der Wissenschaft selbst organisierte Kommunikationsnetz für Wissenschaft und Forschung in Deutschland. Es verbindet Hochschulen und Forschungseinrichtungen miteinander und ist nahtlos in den europäischen und weltweiten Verbund der Forschungs- und Wissenschaftsnetze integriert. Über mehrere leistungsstarke Austauschpunkte ist das DFN ebenfalls mit dem allgemeinen Internet verbunden.“ Dieses Medizinnetz, das Sie brauchen, ist nicht das Internet. Es ist über Austauschpunkte damit verbunden, das ist was anderes.

Und dann brauchen Sie Standardisierung von Anwendungen. Wobei die Verpflichtung, die Anwendungen zu benutzen, nicht Teil des Projekts sein darf. Sondern Fallweise von den jeweiligen Beteiligten vereinbart wird. Diese Standards müssen sozusagen bei Ihnen, den Anwendern, und bei der Industrie für sich werben und dürfen nicht von vorneherein aufgedrückt werden. Damit könnte man dann auch international erfolgreich sein. Ich habe ja bis zur Rente noch viele Jahre nach und mache gern sinnvolle Arbeit.

Damit wir so eine vernünftige Infrastruktur kriegen, und keinen unbeweglichen Telematik Koloß, bitte ich Sie, bei den heute vorgebrachten kritischen Argumenten zur EGK, um Ihr besonderes Gehör.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.